Leitsatz
- Die Offenbarung durch das Steuergeheimnis geschützter Verhältnisse zur Durchführung eines Verwaltungsverfahrens zur Rückforderung von Arbeitslosengeld setzt nicht voraus, dass die Finanzbehörde festgestellt hat, dass die Kenntnis der zu offenbarenden Tatsachen die Rückforderung rechtfertigt oder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit rechtfertigen wird; ausreichend ist insofern, dass die Tatsachen für die Durchführung eines solchen Verwaltungsverfahrens überhaupt geeignet sind.
- § 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, bb AO ist verfassungsgemäß. Er verletzt insbesondere das Recht auf informationelle Selbstbestimmung weder in materieller noch wegen Unbestimmtheit der Offenbarungsbefugnisse der Finanzbehörde in formeller Hinsicht.
Sachverhalt
A hatte in den Jahren 2002, 2003 und 2004 Arbeitslosengeld bezogen; zugleich hatte er in diesen Jahren Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit, aus Gewerbebetrieb sowie aus Kapitalvermögen. Das Finanzamt, das diese Einkünfte bei einer Betriebsprüfung festgestellt hat, will der Agentur für Arbeit dies mitteilen. A beantragte jedoch beim Finanzgericht unter Berufung auf das Steuergeheimnis den Erlass einer einstweiligen Anordnung, um dem Finanzamt diese Mitteilung untersagen zu lassen. Der Antrag hatte wegen der Einkünfte aus Kapitalvermögen Erfolg; im Übrigen lehnte ihn das Finanzgericht aber ab.
Entscheidung
Die vom Finanzgericht zugelassene Beschwerde ist nicht begründet. Das Steuergeheimnis wird durch die vom Finanzamt beabsichtigte Mitteilung nicht verletzt, denn die Mitteilung ist für die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens mit dem Ziel der Entscheidung über die Rückforderung einer Leistung aus öffentlichen Mitteln erforderlich und wird daher von § 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, bb AO zugelassen. Das Finanzamt muss nicht prüfen, ob A zu Unrecht Arbeitslosengeld in Anspruch genommen hat. Es genügt für die Anwendung des § 31a Abs. 1 AO, dass die Offenbarung steuerlicher Tatsachen für die Einleitung oder Durchführung eines Verwaltungsverfahrens der Arbeitsagentur "erforderlich" ist; das ist bereits der Fall, wenn die Tatsachen in einem solchen Verfahren entscheidungserheblich sein können und die Agentur deshalb bei Kenntnis der betreffenden Tatsachen voraussichtlich zumindest eine amtsinterne Prüfung der Rechtsmäßigkeit des Leistungsbezugs vornehmen wird.
§ 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, bb AO ist in dieser Auslegung mit dem Grundgesetz vereinbar.
Hinweis
Durch das Steuergeheimnis (§ 30 AO) geschützte Daten dürfen anderen Behörden vom Finanzamt mitgeteilt werden, soweit ihre Kenntnis für die Durchführung eines Verwaltungsverfahrens mit dem Ziel der Entscheidung über die Rückforderung einer Leistung aus öffentlichen Mitteln erforderlich ist. Um dies zu entscheiden, muss das Finanzamt keine zusätzlichen Ermittlungen über für die eigenen Verwaltungszwecke unerhebliche Tatsachen anstellen (hier: Aufteilung der steuerpflichtigen Einkünfte auf die Monate des Bezugs von Arbeitslosengeld); wohl aber muss es die sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften kennen: Es darf deshalb keine Mitteilung über Tatsachen machen, die nach diesen Vorschriften für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung belanglos sind (z. B. über Einkünfte aus Kapitalvermögen hinsichtlich der Berechtigung zum Bezug von Arbeitslosengeld).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss v. 4.10.2007, VII B 110/07.