Leitsatz

Ein selbständiger EDV-Berater, der Computer-Anwendungssoftware entwickelt, kann einen dem Ingenieur ähnlichen Beruf i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ausüben (Änderung der Rechtsprechung).

 

Sachverhalt

Der Kläger, ein selbständig tätiger EDV-Berater, hatte nach dem Abitur eine zweieinhalbjährige Ausbildung durch Dozenten von Fachhochschulen zum mathematisch-technischen Assistenten absolviert, anschließend eine zweijährige Tätigkeit im Bereich der Systembetreuung von Datenbanken ausgeübt. Das Finanzamt sah die selbständige Tätigkeit nicht als einem Ingenieur ähnlich an und erließ für das Streitjahr 1991 einen Gewerbesteuermessbescheid. In einem vom FG eingeholten Gutachten führte der Sachverständige aus, dass die vom BFH als entscheidend erachtete Differenzierung zwischen der Entwicklung von System- und Anwendersoftware nicht mehr sachgerecht sei. In einem zweiten Gutachten kam er zu dem Ergebnis, dass die theoretischen Kenntnisse des Klägers denjenigen eines ausgebildeten Ingenieurs entsprächen und auch die praktische berufliche Tätigkeit mit der eines Ingenieurs vergleichbar sei. Das FG gab der Klage statt.

 

Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung des FG. Die Tätigkeit des Klägers entspricht der eines Diplom-Informatikers. Da seine theoretischen Kenntnisse in ihrer Breite und Tiefe denjenigen eines an einer Fachhochschule oder Hochschule ausgebildeten Ingenieurs entsprechen und die praktische Tätigkeit in einem für den Beruf des Ingenieurs typischen Bereich liegen, übt er eine dem Ingenieur ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus. Die bisherige Rechtsprechung, die davon ausging, dass lediglich die Entwicklung von Systemsoftware als ingenieurähnliche Tätigkeit angesehen werden kann[1], ist durch die Entwicklung der tatsächlichen Verhältnisse überholt. Wie das FG auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens zu Recht festgestellt hat, übt seit Anfang der 90er Jahre ein selbständiger Diplom-Informatiker eine dem Ingenieur ähnliche Tätigkeit auch dann aus, wenn er (vorwiegend) Anwendersoftware entwickelt.

 

Praxishinweis

Der BFH hat mit der Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung der Tatsache Rechnung getragen, dass sich das typische Berufsbild eines Diplom-Informatikers gewandelt hat. Während es ursprünglich stark theoretisch ausgerichtet war und zunächst fast ausschließlich die Systemsoftwareentwicklung umfasste, hat sich der Schwerpunkt mehr und mehr auf das Gebiet der Anwendersoftware verlagert. Auch die Forschungs- und Lehrtätigkeit an den Hochschulen befasst sich zunehmend mit der Entwicklung von komplexen Anwendersoftwaresystemen. Die Systemsoftware ist inzwischen weitgehend standardisiert, nachdem die grundlegenden Probleme der Informatik in den 70er und 80er Jahren gelöst worden sind.

Allerdings kann auch nach diesem Urteil nicht jede Tätigkeit im Bereich der Entwicklung von Anwendersoftware als freiberuflich angesehen werden. Entscheidend ist, dass qualifizierte Software durch klassische ingenieurmäßige Vorgehensweise entwickelt wird. Die Entwicklung sog. Trivialsoftware bleibt daher eine gewerbliche Tätigkeit.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 4.5.2004, XI R 9/03

[1] Vgl. BFH-Urteile vom 7.12.1989, IV R 115/87, BStBl II 1990, S. 337 = INF 1990, S. 257; vom 7.11.1991, IV R 17/90, BStBl II 1993, S. 324 = INF 1992, S. 233

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