Leitsatz (amtlich)
Hält der Steuerpflichtige bei einer Einkommensteuerfestsetzung auf 0 DM entgegen dem vom FA der Festsetzung zugrunde gelegten positiven Gesamtbetrag der Einkünfte seine negativen Einkünfte für nicht ausgeglichen, so kann er dies nur in einem Verfahren der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs geltend machen. Ggf. muss er innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Einkommensteuerbescheid die Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs beantragen. Enthält der Einkommensteuerbescheid keine entsprechende Belehrung, so kann dieser Antrag binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheids gestellt werden.
Sachverhalt
Am 27.2.1991 veräußerten die Kläger, zusammen veranlagte Eheleute, ihre wesentliche Beteiligung an der X-GmbH und erzielten dabei einen Verlust. In der Steuererklärung 1991, an der ein Steuerberater mitgewirkt hatte, erklärten sie in der Anlage GSE keinen Veräußerungsverlust, sondern positive gewerbliche Einkünfte aus einer KG-Beteiligung. Das Finanzamt setzte die ESt 1991 erklärungsgemäß mit Bescheid vom 8.6.1993 bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte von 25 227 DM auf 0 DM fest. Die Kläger beantragten am 21.3.1995, den bestandskräftigen ESt-Bescheid 1991 zu ändern und neben den KG-Gewinnen auch den Veräußerungsverlust i.S. von § 17 EStG zu berücksichtigen. Das Finanzamt lehnte dies ab, weil die Kläger ein grobes Verschulden am verspäteten Bekanntwerden treffe. Die dagegen erhobene Klage nahmen die Kläger zurück, nachdem das Finanzamt die Abweisung mangels Rechtsschutzbedürfnisses beantragt hatte. Bereits am 12.6.1995 hatten die Kläger beantragt, gemäß § 10d Abs. 3 EStG 1990 einen zum 31.12.1991 verbleibenden Verlust von 267436 DM gesondert festzustellen (Veräußerungsverlust: 292 663 DM abzüglich Gesamtbetrag der Einkünfte laut Bescheid vom 8.6.1993: 25 227 DM). Das Finanzamt lehnte auch dies ab. Klage und Revision blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Das FG hat zu Recht den erst zwei Jahre nach Ergehen des ESt-Bescheids gestellten Antrag der Kläger, einen verbleibenden Verlustabzug zur ESt 1991 gemäß § 10d Abs. 3 EStG 1990 festzustellen, abgelehnt.
1. Voraussetzung für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug nach § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG 1990 ist, dass der zugrunde liegende - bisher keinen Verlust ausweisende - Steuerbescheid noch entsprechend geändert werden kann. Eine solche Änderungsmöglichkeit des Steuerbescheids setzt auch § 10d Abs. 3 Satz 5 EStG 1990 voraus. Die Vorschrift ist nur anwendbar, wenn die Änderung des Steuerbescheids allein mangels steuerlicher Auswirkung unterbleibt. Hält der Steuerpflichtige die in einem Verlustjahr vom Finanzamt ermittelten, nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte für unzutreffend, so hat er dies im Verfahren gegen den Feststellungsbescheid, den er gegebenenfalls zu beantragen hat, vorzubringen.
Die Kläger haben keinen Anspruch auf Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustabzug, weil der bestandskräftige Steuerbescheid 1991 nicht mehr geändert werden kann. Sie hätten den Antrag auf Erlass eines solchen Feststellungsbescheids nach Ergehen des ESt-Bescheids innerhalb der Einspruchsfrist gegen diesen Bescheid stellen müssen. Zwar beträgt im Streitfall diese Frist unter entsprechender Anwendung des § 356 Abs. 2 AO ein Jahr, da einerseits gegen den auf 0 DM lautenden ESt-Bescheid ein Einspruch mangels Beschwer unzulässig war und andererseits das Finanzamt die Kläger nicht darauf hingewiesen hat, dass innerhalb der Einspruchsfrist gegen den ESt-Bescheid die Feststellung nach § 10d Abs. 3 EStG 1990 beantragt werden kann. Die Kläger haben ihren Antrag aber erst rd. zwei Jahre nach Bekanntgabe des ESt-Bescheids 1991 gestellt. Die Frage eines Verlustrücktrags ist hiervon getrennt zu beurteilen.
2. Die Entscheidung des FG, eine Änderung des ESt-Bescheids 1991 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO komme nicht in Betracht, weil die Kläger ein grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden des erlittenen Veräußerungsverlustes treffe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Vorliegen groben Verschuldens, d.h. von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit, ist im Wesentlichen eine Tatfrage. Die hierzu vom FG aufgrund der von ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen vorgenommene Würdigung darf - abgesehen von zulässigen und begründeten Verfahrensrügen - in der Revisionsinstanz nur darauf überprüft werden, ob der Rechtsbegriff des Vorsatzes bzw. der groben Fahrlässigkeit richtig erkannt worden ist und ob die Würdigung der Umstände hinsichtlich des individuellen Verschuldens den Denkgesetzen und Erfahrungssätzen entspricht. Die Annahme groben Verschuldens der bei der ESt-Veranlagung 1991 steuerkundig vertretenen Kläger durch das FG ist danach nicht zu beanstanden.
Link zur Entscheidung
BFH vom 9.5.2001 - XI R 25/99