Leitsatz
- Gibt eine zur Einbehaltung und Abführung von Steuern verpflichtete Person (Entrichtungsschuldner) die ihr obliegende Steueranmeldung nicht ab, so wird hierdurch der Anlauf der Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 gehemmt (Bestätigung des Senatsurteils vom 17.4.1996, I R 82/95, BStBl II 1996, S. 608; gegen BMF-Schreiben vom 24.4.1997, IV A 4 – S 0340 – 4/97 / IV C 5 – S 1300 – 60/97, BStBl I 1997, S. 414).
- Die in Art. 28 Abs. 3 DBA-Schweiz enthaltene Fristbestimmung für die Erstattung von Quellensteuern schließt die Anwendung der §§ 169ff. AO nicht aus, wenn diese für den Steuerpflichtigen günstiger ist.
Sachverhalt
Eine Schweizer Kapitalgesellschaft (C) war an einer deutschen GmbH (D-GmbH) beteiligt. Diese schüttete im Jahr 1993 insgesamt 2,3 Mio. DM verdeckt an die C aus. Nachdem das bei einer Außenprüfung festgestellt worden war, wurde die D-GmbH im Januar 1997 auf Zahlung von Kapitalertragsteuer in Anspruch genommen. Die D-GmbH zahlte die Steuer fristgerecht, woraufhin die Cim April 1998 beantragte, ihr einen Teil der Kapitalertragsteuer nach Maßgabe des DBA-Schweiz zu erstatten. Diesen Antrag lehnte das Bundesamt für Finanzen ab, da er verspätet gestellt worden sei.
Entscheidung
Der Kapitalertrag der C darf nach dem DBA-Schweiz nur mit 5 % besteuert werden. Die D-GmbH war zwar dennoch verpflichtet, die (höhere) Kapitalertragsteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Doch kann sich die C den Mehrbetrag vom Bundesamt für Finanzen erstatten lassen. Die Erstattung muss innerhalb der Festsetzungsfrist von vier Jahren beantragt werden. Diese Frist hat aber frühestens Ende 1996 begonnen. Denn bis dahin hatte die D-GmbH ihre Pflicht zur Anmeldung der Kapitalertragsteuer nicht erfüllt, und bei Unterbleiben einer vorgeschriebenen Steueranmeldung wird der Fristanlauf für bis zu drei Jahre nach Zufluss des Kapitalertrags gehemmt. Deshalb war die Frist im Jahr 1998 noch nicht abgelaufen, so dass der Antrag rechtzeitig gestellt wurde.
Praxishinweis
Die Besonderheit des Falles lag darin, dass Schuldnerin der Kapitalertragsteuer die C (Gläubigerin des Kapitalertrags), zur Anmeldung der Steuer verpflichtet aber nur die D-GmbH (Schuldnerin des Kapitalertrags) war. Die Finanzverwaltung nahm bisher an, dass die Verletzung einer Pflicht zur Steueranmeldung nur dann die Festsetzungsfrist hemmen könne, wenn (zumindest auch) der Steuerschuldner zur Anmeldung verpflichtet ist. Dem ist der BFH jetzt im Anschluss an eine frühere – von der Verwaltung bislang nicht angewandte – Entscheidung entgegengetreten. Das wirkte sich hier günstig für das Unternehmen aus, kann aber in anderen Fällen auch zu Ungunsten des Betroffenen wirken.
Speziell die im Urteilsfall gegebene Situation ist inzwischen abweichend gesetzlich geregelt: Nach § 50d Abs. 1 EStG beginnt die nach wie vor vierjährige Frist für den Erstattungsantrag mit der Zahlung des Kapitalertrags an den Gläubiger (hier: C); sie endet frühestens sechs Monate nach Zahlung der Steuer durch den Schuldner des Kapitalertrags. Ein Aufschub des Fristanlaufs bis zur Anmeldung der Steuer mit der Folge, dass erst dann die vollen vier Jahre beginnen, dürfte nach neuem Recht nicht mehr konstruierbar sein.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 29.01.2003, I R 10/02