Leitsatz

Die zur Entstehung der Erbschaftsteuer führende Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs setzt nicht die Bezifferung des Anspruchs voraus.

 

Sachverhalt

Da sich B mit seiner Schwester S, der Alleinerbin seines 1995 verstorbenen Vaters, nicht über den ihm zustehenden Pflichtteilsanspruch einigen konnte, beauftragte er Rechtsanwälte mit der Verfolgung seiner Interessen. Diese führten in ihrem an S gerichteten Schreiben vom 13.12.1995 aus, sie hätten namens und im Auftrag ihres Mandanten "hiermit dessen Pflichtteilsansprüche … geltend zu machen", forderten S auf, nach § 2314 BGB Auskunft zu erteilen, und kündigten Klageerhebung an. 1998 einigten sich B und S über das Bestehen eines Pflichtteilsanspruchs von 400000 DM.

Das Finanzamt nahm an, B habe den Pflichtteilsanspruch im Jahr 1995 geltend gemacht und gewährte lediglich den damaligen Freibetrag von 90000 DM. B hingegen begehrt den Freibetrag von 400000 DM nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG i.d.F. des JStG 1997.

 

Entscheidung

Als Erwerb von Todes wegen gilt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG u.a. der Erwerb aufgrund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs[1]. Die Steuer dafür entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG mit der Geltendmachung des Anspruchs. Dem bloßen Entstehen des Anspruchs mit dem Erbfall[2] kommt erbschaftsteuerrechtlich noch keine Bedeutung zu. Die "Geltendmachung" des Pflichtteilsanspruchs besteht im ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden[3], die Höhe des Anspruchs aber nicht beziffern. Eine solche Bezifferung ist dem Pflichtteilsberechtigten regelmäßig erst nach Erteilung der in § 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgesehenen Auskunft durch den Erben möglich.

B hat mit dem Schreiben vom 13.12.1995 ernstlich die Erfüllung seines Anspruchs verlangt und somit seinen Pflichtteil i.S. von § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG geltend gemacht. Dass er den Anspruch der Höhe nach noch nicht beziffert hat, ist unschädlich. Da die Erbschaftsteuer somit noch im Jahr 1995 entstanden ist, steht B nur der persönliche Freibetrag in Höhe von 90 000 DM nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG a.F. zu.

 

Praxishinweis

Der Berechtigte kann die Entstehung der Steuer dadurch vermeiden, dass er sich darauf beschränkt, vom Erben zunächst nur Auskunft gemäß § 2314 BGB zu verlangen, und sich die Geltendmachung des Pflichtteils vorbehält. Das Entstehen der Steuer hat auch große praktische Bedeutung für § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG. Danach gilt als vom Erblasser zugewendet dasjenige, was als Abfindung für einen Verzicht auf den entstandenen, aber noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch gewährt wird. Die hierdurch eröffnete Möglichkeit, den erworbenen Geldanspruch nach dem Erbfall noch gegen eine Abfindung, z.B. ein Grundstück, auszutauschen, besteht nur bei noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsansprüchen.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 19.7.2006, II R 1/05

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