Leitsatz (amtlich)
Es ist ernstlich zweifelhaft, ob § 1 Abs. 1 AStG mit den Diskriminierungsverboten in Art. 52ff. und Art. 73bff. EGV (= Art. 43ff. und Art. 56ff. EGV i.d.F. des Vertrages von Amsterdam) vereinbart werden kann.
Sachverhalt
Der Antragsteller ist französischer Staatsbürger, der mit gebrauchten und neuen Waren handelt. Er unterhielt in Deutschland einen Gewerbebetrieb. Nach den Ermittlungen des Finanzamts hat er in den Streitjahren 1992 bis 1997 von seinem inländischen Betrieb aus Waren an seine Betriebe in Frankreich und auf Martinique "veräußert" und dafür Preise verrechnet; die unter denen lagen, wie sie unter fremden Dritten vereinbart und gezahlt worden wären. Die Mehrgewinne wurden nach § 1 Abs. 1 AStG den erklärten gewerblichen Einkünften hinzugerechnet. Über die Einsprüche gegen die danach festgesetzte ESt ist noch nicht entschieden. Den nach vorheriger, teilweiser Ablehnung durch das Finanzamt beim FG gestellten AdV-Antrag lehnte das FG ab. Die dagegen erhobene Beschwerde hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide ist auszusetzen. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Vereinbarkeit des § 1 Abs. 1 AStG mit der Niederlassungsfreiheit und der Freiheit des Kapitalverkehrs. Ausschlaggebend dafür ist, dass derjenige Steuerpflichtige, der Geschäfte mit einem nahe stehenden Geschäftspartner in einem anderen EU-Mitgliedstaat tätigt, steuerlich ungünstiger behandelt wird als ein solcher Steuerpflichtiger, der entsprechende Geschäfte im Inland betreibt. Dem einen wird ein fiktives Entgelt als Gewinnaufschlag hinzugerechnet, dem anderen hingegen nicht. Zwar könnte eingewandt werden, dass bei einem rein innerstaatlichen Vorgang zugleich eine entsprechende Gewinnminderung auf Seiten des nahe stehenden Geschäftspartners entfällt; die fehlende Gewinnerhöhung bei dem leistenden Steuerpflichtigen und die fehlende Gewinnminderung beim Leistungsempfänger gleichen sich also aus. Es lässt sich jedoch zumindest ernstlich bezweifeln, dass mit einer derartigen Gesamtwürdigung die abweichende Behandlung von Auslandssachverhalten gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Der Rechtsprechung des EuGH ist eher zu entnehmen, dass beim Vergleich der Gebietsansässigen und der Gebietsfremden auf die Belastung des jeweiligen Steuerpflichtigen abgestellt werden muss, nicht aber auf eine "Zusammenschau" voneinander verschiedener Unternehmen, auch wenn diese nahe stehende sind. Eine Ausnahme kann nur für den Fall einer steuerlichen "Kohärenz" gemacht werden, wenn der erlittene steuerliche Nachteil durch eine korrespondierende steuerliche Begünstigung desselben Staatsangehörigen kompensiert wird.
Ferner wird die Schlechterstellung desjenigen, der mit einem Gebietsfremden kontrahiert, nicht durch die Gewinnkorrekturvorschrift in Art. 5 DBA-Frankreich legitimiert. Zum einen begründet diese -Art. 9 des OECD-MA nachgebildete -Regelung selbst keine Steuerpflicht, sondern beschränkt lediglich eine nach dem Steuerrecht des Anwenderstaates bestehende Berichtigungsmöglichkeit. Zum anderen geht das Gemeinschaftsrecht ohnehin dem Völkervertragsrecht und dem innerstaatlichen Recht vor.
Link zur Entscheidung
BFH-Beschluss vom 21.6.2001 – I B 141/00