1 Leitsatz
Geschäftsanteile des Schuldners an einer Wohnungsgenossenschaft zur Absicherung des Nutzungsverhältnisses über die von ihm und seiner Familie genutzte Erstwohnung gehören zum insolvenzfreien Vermögen.
2 Sachverhalt
Ein Mitglied einer Wohnungsgenossenschaft hatte die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, die Restschuldbefreiung und die Stundung der Verfahrenskosten beantragt. Mit seiner Familie bewohnte das Mitglied eine Wohnung aus dem Bestand der eG. Ein vom Insolvenzgericht beauftragter Rechtsanwalt als Sachverständiger hatte u.a. die Möglichkeit untersucht, durch die Kündigung der Mitgliedschaft und die Realisierung des Auseinandersetzungsguthabens einen Beitrag zur Kostendeckung zu erzielen.
3 Entscheidung
Das Amtsgericht (AG) Duisburg hat in dieser Sache entschieden, dass die Geschäftsanteile eines Mitglieds an einer Wohnungsgenossenschaft, die nicht zur Kapitalanlage, sondern lediglich zur Absicherung des Nutzungsverhältnisses über die von dem Mitglied und seiner Familie genutzte Erstwohnung bestimmt sind, zum insolvenzfreien Vermögen gehören.
Das Gericht hat in seiner Begründung ausgeführt, dass insbesondere der Betrag, der als Auseinandersetzungsguthaben bei einer Kündigung der Mitgliedschaft des Schuldners in der Genossenschaft zu erzielen wäre, nicht als Insolvenzmasse anzusetzen ist. Im vorliegenden Fall war das Recht des Mitglieds zur Nutzung der Wohnung nach der Satzung und dem Dauernutzungsvertrag an die Mitgliedschaft in der Genossenschaft gebunden (vgl. auch § 15 der Mustersatzung für Wohnungsgenossenschaften, § 1 Abs. 4 des Muster-Dauernutzungsvertrags). Nichtmitglieder erhielten keine Wohnungen der eG. Nach einer Kündigung war ein Neuerwerb der Mitgliedschaft und des Nutzungsrechts nur möglich, wenn der Schuldner erneut mehrere Geschäftsanteile erwarb, die Einlagen voll eingezahlt und ein zusätzliches Eintrittsgeld entrichtet hat. Da das Mitglied Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (soziale Grundsicherung nach dem SGB II) bezog, war es hierzu jedoch nicht in der Lage. Aufgrund dieser Umstände kam nach Ansicht des Gerichts eine Realisierung des Auseinandersetzungsguthabens zugunsten der künftigen Insolvenzmasse aus Rechtsgründen nicht in Betracht.
Weiterhin hat das Gericht darauf hingewiesen, dass zwar der Bundesgerichtshof (BGH) dem Insolvenzverwalter (oder Treuhänder nach § 313 InsO) das Recht zugesprochen hat, die Mitgliedschaft des Schuldners in einer Wohnungsgenossenschaft zu kündigen und das Auseinandersetzungsguthaben in vollem Umfang zur Masse zu ziehen, selbst wenn dies den Verlust des Nutzungsrechts zur Folge hat (siehe dazu die Entscheidungsbesprechung "Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens an den Treuhänder – Vollstreckungsschutz gem. § 765 a ZPO?"). Das AG Duisburg folgt jedoch ausdrücklich der Ansicht des BGH in Fällen der vorliegenden Art nicht. Zur Begründung führt es dazu aus, dass bei der gebotenen lebensnahen wirtschaftlichen Betrachtung der gesamten Umstände das Verhältnis zwischen der Wohnungsgenossenschaft und dem Mitglied, das eine Wohnung der eG nutzt, insolvenzrechtlich nicht anders zu beurteilen sei als das Verhältnis zwischen einem Wohnungsvermieter und dem Mieter. Ein genossenschaftliches Wohnrecht habe für den Schuldner dieselbe existentielle Bedeutung wie für einen Mieter das Nutzungsrecht aus einem Wohnungsmietvertrag. Das Insolvenzverfahren für natürliche Personen würde sein Ziel, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen, weitgehend verfehlen, wenn es mit der Gefahr einer Obdachlosigkeit des Schuldners verbunden wäre.
Geschäftsanteile des Schuldners an einer Wohnungsgenossenschaft, die nicht als Kapitalanlage, sondern lediglich der Absicherung des Nutzungsverhältnisses über die vom Schuldner und seiner Familie genutzte Erstwohnung dienen, unterliegen nach Auffassung des Gerichts daher nicht der Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters, sondern gehören zum insolvenzfreien Bereich (§ 109 Abs.1 Satz 2 analog, § 80 Abs. 1, § 313 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter darf daher nach der Entscheidung des Gerichts in Fällen dieser Art weder die Mitgliedschaft des Schuldners in der Genossenschaft noch das Wohnungsnutzungsverhältnis kündigen. Er ist vielmehr in entsprechender Anwendung des § 109 Abs.1 Satz 2 InsO lediglich berechtigt, gegenüber der Genossenschaft die dort vorgesehenen Erklärungen über die Haftung der Insolvenzmasse für künftig fälliges Nutzungsentgelt abzugeben.
Auswirkungen des neuen Insolvenzrechts
Der Beschluss des AG Duisburg wich bereits ausdrücklich von dem Beschluss des BGH vom 2.12.2010, IX ZB 120/10 ab. Entgegen der Auffassung des BGH war es nach Ansicht des AG Duisburg nicht möglich, dass ein Insolvenzverwalter oder Treuhänder die Mitgliedschaft in einer Wohnungsgenossenschaft zur Realisierung des Auseinandersetzungsguthabens kündigt, wenn – wie es in der Praxis die Regel ist - die Nutzung der Genossenschaftswohnung an die Mitgliedschaft gebunden ist und damit die Geschäftsanteile nicht als Kapitalanlage dienen.
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