Prof. Dr. Edeltraud Günther, Dipl.-Finanzwirt Karl-Heinz Günther
Leitsatz
Werden GmbH-Anteile unter Nießbrauchsvorbehalt übertragen, liegt kein Erwerb nach § 17 EStG vor, wenn sie dem Nießbraucher weiterhin als wirtschaftlicher Eigentümer zuzurechnen sind.
Sachverhalt
Im Urteilsfall übertrug der Vater im Wege der vorweggenommenen Erbfolge GmbH-Anteile auf seinen Sohn und behielt sich an den übertragenen Beteiligungen den lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch vor. Nach den vertraglichen Vereinbarungen gebührten dem Nießbraucher die während des Nießbrauchs auf die Beteiligungen entfallenden ausgeschütteten Gewinnanteile. Der Sohn bevollmächtigte den Vater unwiderruflich zur Ausübung des Stimmrechts in sämtlichen Gesellschaftsangelegenheiten und verpflichtete sich, von seinem eigenen Stimmrecht keinen Gebrauch zu machen. Der Sohn und sein Vater verkauften sämtliche Anteile an der GmbH. Im Rahmen einer Vereinbarung verzichtete der Vater auf seine eingeräumten Nießbrauchrechte. Als Gegenleistung dafür vereinbarten die Vertragsparteien einen Ablösebetrag. Das Finanzamt erkannte den vom Sohn an den Vater gezahlten Ablösebetrag nicht als nachträgliche Anschaffungskosten an, ermittelte einen Veräußerungsgewinn und unterwarf diesen zur Hälfte der Besteuerung (Halbeinkünfteverfahren).
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und wies sie an das FG zurück, weil das FG von einem unentgeltlichen Erwerb der Gesellschaftsanteile durch den Sohn ausgegangen ist, ohne zu prüfen, ob ihm die Gesellschaftsanteile nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen sind oder ob das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen erst mit dem Verzicht des Vaters auf das Nießbrauchrecht, und damit entgeltlich gegen Zahlung des Ablösebetrags, übergegangen ist. Denn das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht auf einen Erwerber über, wenn er aufgrund eines Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte (Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind.
Sofern das wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Anteilen zunächst beim Vater verblieben sein sollte, hat dieser die Anteile wirtschaftlich erst mit dem Verzicht auf den Nießbrauch an den Steuerpflichtigen übertragen, und zwar entgeltlich gegen die Ablösezahlung als Gegenleistung, die wiederum zu Anschaffungskosten führt.
Hinweis
Zwar sprach der Vertragsinhalt dafür, dass das wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Anteilen beim Vater, dem Vorbehaltsnießbraucher, verblieben ist. Da der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse zu beurteilen und nicht lediglich das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend ist, sind weitere Ermittlungen erforderlich, die das FG durchzuführen hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 24.1.2012, IX R 51/10.