Unklare Verfügung
Probleme entstehen gerade bei der Anordnung von Vor- und Nacherbschaft. Den letztwilligen Verfügungen fehlt es insoweit oft an der nötigen Klarheit und begrifflichen Genauigkeit. Die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft setzt nicht voraus, dass der Erblasser gerade diese Ausdrücke verwendet. Maßgebend ist, ob der Erblasser einen mindestens zweimaligen Anfall der Erbschaft gewollt hat; umgekehrt führt die Verwendung der Worte "Vorerbe" und "Nacherbe" nicht zwingend zur Annahme einer Vor- und Nacherbschaft. Denn neben einer Vor- und Nacherbschaft kommen auch ein Vor- und Nachvermächtnis oder lediglich die Einräumung eines Nießbrauchs zugunsten der Bedachten in Betracht. Umgekehrt kann auch die Einsetzung eines "Schlusserben" auf eine Nacherbfolge hindeuten.
Vor- und Nacherbschaft
Die letztwillige Verfügung: "Hiermit setze ich meine Tochter als meine Erbin ein, mit der Bedingung, dass sie meinem Sohn aus erster Ehe 3.000 M ausbezahlt. Sie darf das Erbe nicht verkaufen und muss es bei ihrem Tode meinem Sohn, dessen Frau oder seinen Kindern überlassen." kann dahin ausgelegt werden, dass die Erblasserin nach ihrem hypothetischen Willen ihre Tochter (nur) als Vorerbin eingesetzt hat unter der auflösenden Bedingung, dass diese von einer der genannten Personen – egal in welcher Zusammensetzung – beerbt wird.
In einem Testament hatte der Erblasser die gesetzliche Erbfolge ausgeschlossen, solange die Ehefrau lebt, diese zur Alleinerbin eingesetzt und zugleich angeordnet, dass die Ehefrau bezüglich des an den einzigen Sohn "zu gehenden Pflichtteils" befreite Vorerbin sein soll. Diese letztwillige Verfügung ist dahin auszulegen, dass der Erblasser die Ehefrau als befreite Vorerbin und den Sohn als Nacherben eingesetzt sowie als Nacherbfall den Tod der Ehefrau bestimmt hat.
Grundbesitz
Häufig macht der Grundbesitz den wesentlichen Nachlass aus. Wenn dieser Grundbesitz nach dem Willen der Eheleute in ihrem privatschriftlichen Testament nach dem Tod ihrer als Erben des Längstlebenden eingesetzten Kinder auf dritte Verwandte übergehen soll, kommt gerade dann die Auslegung der Erbeinsetzung als Anordnung einer Vor- und Nacherbfolge in Betracht.
Checkliste
Folgende Punkte sind bei der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft speziell zu bedenken:
- Bestimmung des (der) Vorerben und des (der) Nacherben mit jeweiligen Ersatzerben;
- Dauer der Vorerbschaft;
- Umfang der Befreiung des Vorerben.
Befreiter Vorerbe
Einzelfälle
Der Regelfall sei eine nicht befreite Vorerbschaft, die nur dann zu einer befreiten wird, wenn dies der Erblasser angeordnet hat oder die Befreiung mittels Auslegung ermittelt werden kann. Die bloße Bezeichnung des Vorben als "Alleinerben" lässt noch nicht den Schluss auf eine Befreiung von den Verfügungsbeschränkungen zu.
- Hinsichtlich der Befreiung des Vorerben genügt es, wenn der Befreiungswille im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck kommt. Zu den Umständen, unter denen von einer stillschweigenden Befreiung des Vorerben auszugehen ist, gehören: das Einsetzen des an der Vermögensbildung beteiligten Ehegatten zum Vorerben, wenn es sich bei dem Nacherben um einen eher entfernten Verwandten handelt, das Eintreten des Nacherbfalls mit dem Tod des Vorerben oder der Wiederverheiratung. Weiterhin sind die Motivation für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft mit zu berücksichtigen sowie das Verhalten des Vorerben.
- Die Beschreibung der Rechtsstellung einer Vorerbin in einem privatschriftlichen Testament "Frau ... soll die ... Ertragsüberschüsse erhalten. Sie soll berechtigt sein, auch über das Nachlassvermögen aus der Vorerbschaft nach ihrem freien Ermessen bei Bedarf zu verfügen." ist als befreite Vorerbschaft auszulegen.
- Setzt der Erblasser in einem gemeinschaftlichen Testament seine Ehefrau als Erbin ein und bestimmt, dass nach beiderseitigem Tod seine Enkelin den wesentlichen Nachlassgegenstand (hier: Hausgrundstück) erhalten soll, so hat das Nachlassgericht als Auslegungsmöglichkeit neben Vollerbschaft und Vorerbschaft auch in Erwägung zu ziehen, dass die Ehefrau als befreite Vorerbin eingesetzt ist.
- Eine Erbeinsetzung mit dem Zusatz "solange er lebt" bedeutet bei Fehlen weiterer Anhaltspunkte nicht in jedem Fall, dass der Bedachte lediglich nicht befreiter Vorerbe sein soll.
Die Befreiung kann sich auch als aufschiebend bedingte Vollerbeinsetzung erweisen, wenn der Erblasser testamentarisch verfügt hat, dass die Vorerbin "frei" über den Nachlass verfügen kann, sobald die zu Nacherben eingesetzten pflichtteilberechtigten Kinder ihren Pflichtteil verlangen.
Abgrenzung Nacherbeneinsetzung – Vermächtnis
Vermächtnis
Hat der Erblasser bestimmt, dass der Mieter eines dem Erblasser gehörenden Hauses nach Ablauf der Mietzeit dieses behalten dürfe, so liegt hierin, wenn weiteres erhebliches Vermögen vorhanden ist, keine Nacherbeneinsetzung, sondern allenfalls ein Vermächtnis.
Abgrenzung Nacherbschaft – Ers...