Steuervermeidung
§ 1 Abs. 2a, Abs. 3 und Abs. 4 GrEStG zeigen, dass der Grunderwerbsteuer nicht nur die zivilrechtliche Übertragung eines Grundstücks der Grunderwerbsteuer unterliegt. Werden Anteile an einer Personengesellschaft oder einer Kapitalgesellschaft, die Grundbesitz in ihrem Gesamthands-/Gesellschaftsvermögen hält, übertragen, unterliegen auch diese Anteilsübertragungen unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2a bzw. der Abs. 3 und 4 GrEStG der Grunderwerbsteuer. Gemeinsames Merkmal dieser Vorschriften war bisher die 95 %-Grenze (seit 1.7.2021: 90 %). Insbesondere angesichts der steigenden Grunderwerbsteuersätze wurde versucht, die Steuer zu vermeiden, indem nicht 95 % (90 %) der Anteile übertragen oder vereinigt wurden, sondern geringfügig weniger. Dazu wurden sog. RETT-Blocker eingesetzt. Nachstehendes Beispiel verdeutlicht die Wirkung eines "RETT-Blockers":
Wirkung eines RETT-Blockers vor Einführung des § 1 Abs. 3a GrEStG, hier: Kapitalgesellschaft (Rechtslage bis 30.6.2021)
RETT-Blocker bei Kapitalgesellschaft
Ein Erwerber (E) möchte sich so an der grundbesitzenden Ziel-GmbH beteiligen, dass er eine einem Alleingesellschafter nahekommende Position innehat. Grunderwerbsteuer soll bei diesem Vorgang jedoch nicht anfallen. Zu diesem Zweck beteiligt er sich nur mit 94,9 % an der Ziel-GmbH.
Dieser Vorgang erfüllt die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 nicht, da in der Hand des E nicht mindestens 95 % der Anteile an der Ziel-GmbH vereinigt werden.
In einem weiteren Schritt gründet E zusammen mit dem außenstehenden X die R-GmbH. X hält 5,1 % der Anteile, E 94,9 % der Anteile an der R-GmbH. Auch hier entsteht keine Grunderwerbsteuer, da in der Hand des E ebenfalls keine Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 GrEStG stattfindet. Die R-GmbH erhält die verbleibenden 5,1 % der Anteile an der Ziel-GmbH.
Damit erhält E eine dem Alleingesellschafter der Ziel-GmbH nahekommende Position (die R-GmbH ist mit einer Beteiligung von 5,1 % wirtschaftlich unbedeutend), ohne dass Grunderwerbsteuer entstanden ist. Die zwischengeschaltete R-GmbH fungiert als "RETT-Blocker", da durch sie die Entstehung von Grunderwerbsteuer verhindert wurde.
Üblicherweise wurden nicht Kapitalgesellschaften, sondern Personengesellschaften eingeschaltet. Dies hat den Vorteil, dass der fremde Dritte (Co-Investor, im vorigen Beispiel X) auch mit weniger als 5,1 % am "RETT-Blocker" beteiligt werden kann.
Wirkung eines RETT-Blockers vor Einführung des § 1 Abs. 3a GrEStG, hier: Personengesellschaft (Rechtslage bis 30.6.2021)
RETT-Blocker bei Personengesellschaft
Wie voriges Beispiel. E gründet mit X jedoch die R-KG, an der X mit 0-5,1 % und E mit 94,9-100 % beteiligt sind. Die R-KG hält 5,1 % an der Ziel-GmbH.
Somit wird auch hier Grunderwerbsteuer vermieden. In der Hand des E findet keine Vereinigung der Anteile an der Ziel-GmbH statt, obwohl X möglicherweise mit 0 % am Vermögen der R-KG beteiligt ist. In Betracht kommen kann nur eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG (es geht um die Anteile an der Ziel-GmbH, also einer Kapitalgesellschaft). Daher kann dem E die Beteiligung der R-KG an der Ziel-GmbH nicht anteilig zugerechnet werden (kein "Durchrechnen"). Es gilt die sachenrechtliche Betrachtung, die sich einer Quotelung entzieht (Pro-Kopf-Betrachtung). Jedem Mitglied der Personengesellschaft steht nur eine einzige Beteiligung zu. Die vermögensrechtliche Beteiligung spielt keine Rolle. Hier wirkt die R-KG als "RETT-Blocker". Wirtschaftlich betrachtet spielen die Beteiligung des X bzw. der R-KG keine Rolle.
Neuer Besteuerungstatbestand
Mit den Steuersatzerhöhungen der Bundesländer (einige Bundesländer erheben zwischenzeitlich 6,5 %) sind die in den obigen Beispielen angesprochenen Gestaltungen gehäuft aufgetreten. Mit den bisherigen Regelungen konnte den Gestaltungen nicht begegnet werden, da das Grunderwerbsteuergesetz eine wirtschaftliche Betrachtung, die hier aber erforderlich ist, bislang nicht kannte.
Daher hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3a GrEStG einen neuen Besteuerungstatbestand, die wirtschaftliche Anteilsvereinigung, geschaffen.