Leitsatz
In den Fällen, in denen einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit einer Umsatzsteuerschuld noch nicht entsprochen worden ist und in denen der Haftungsschuldner die Steuerschuld nicht entrichtet und entsprechende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld auch nicht bereitgehalten hat, ist hinsichtlich der Verwirklichung des Haftungstatbestands des § 69 AO nicht auf den Zeitpunkt der – späteren – tatsächlichen Fälligkeit, sondern auf den der gesetzlichen Fälligkeit des Steueranspruchs abzustellen. Mit der so verstandenen Verwirklichung des Haftungstatbestands zum gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt beginnt zugleich der Lauf der Festsetzungsverjährung für den Haftungsanspruch gemäß § 191 Abs. 3 AO.
Sachverhalt
Der Geschäftsführer einer inzwischen insolventen GmbH wird wegen Umsatzsteuerschulden in Haftung genommen. Die Umsatzsteuer hatte er zunächst nicht erklärt. Gegen den deshalb ergangenen Umsatzsteuer-Bescheid hatte er für die GmbH Einspruch eingelegt und Aussetzung der Vollziehung beantragt. Das Finanzamt hatte die Vollziehung mit Rückwirkung von dem Tage an ausgesetzt, an dem die festgesetzte Steuer fällig geworden war. Zwischen dem Geschäftsführer und dem Finanzamt besteht darüber Streit, wann die Festsetzungsfrist für den Haftungsbescheid, soweit dieser auf der Nichtentrichtung der vom Finanzamt festgesetzten Umsatzsteuer beruht, begonnen hat: mit der gesetzlichen Fälligkeit oder infolge der Vollziehungsaussetzung erst mit deren Ende?
Entscheidung
Der BFH urteilt, dass in den Fällen, in denen einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung im Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit noch nicht entsprochen worden ist und in denen der Haftungsschuldner entsprechende Mittel zur Begleichung der Steuerschuld nicht bereit hält, der Haftungstatbestand des § 69 AO zum Zeitpunkt der gesetzlichen Fälligkeit des Steueranspruchs verwirklicht wird und dementsprechend mit diesem Tag die Festsetzungsfrist beginnt. Das mit der rückwirkenden Vollziehungsaussetzung verbundene Vollziehungsverbot habe keine Auswirkungen auf bereits verwirklichte Haftungstatbestände.
Praxishinweis
Die Umsatzsteuer-Jahresschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem sie berechenbar ist. Das ist das Ende des Kalenderjahrs. Der gesetzliche Fälligkeitszeitpunkt für geschuldete Umsatzsteuer infolge einer Differenz zu den geleisteten Vorauszahlungen ergibt sich aus § 18 Abs. 4 UStG: ein Monat nach Abgabe der Umsatzsteuer-Jahreserklärung bzw. nach Bekanntgabe des Jahresbescheids. Zu diesem Zeitpunkt muss der Geschäftsführer die Umsatzsteuer bereithalten, und zwar auch dann, wenn er gegen die Festsetzung Rechtsbehelfe einlegt und Vollziehungsaussetzung zu erlangen hofft. Anders könnte es sein, wenn er vor Fälligkeit eine Stundung, die anders als die Vollziehungsaussetzung die Fälligkeit hinausschiebt, beantragt und mit deren Gewährung auch fest rechnen kann.
Der Zeitpunkt, in dem endgültig feststeht, dass das Finanzamt mit seinen Steuerforderungen gegenüber dem Steuerschuldner ausfallen wird, ist für die Verwirklichung des Haftungstatbestands und damit für den Verjährungsbeginn ohne Bedeutung.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 11.3.2004, VII R 19/02