Leitsatz
Es bestehen ernstliche Zweifel, ob die Abführung von Lohnsteuer in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtbare Rechtshandlung darstellt oder ob ein sog. Bargeschäft nach § 142 InsO vorliegt, das nur unter den Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO angefochten werden kann.
Sachverhalt
Ein Geschäftsführer wird vom Finanzamt wegen nicht abgeführter Lohnsteuer der von ihm vertretenen KG als Haftungsschuldner in Anspruch genommen. Über das Vermögen der KG wurde vor Ablauf von drei Monaten seit Fälligkeit der Lohnsteuerzahlung das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Finanzamt hat darin aufgrund Masseunzulänglichkeit keine Befriedigung erlangt. Der Geschäftsführer beantragt Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheids. Diese hat ihm das FG wegen fehlender Kausalität seiner Pflichtverletzung gewährt, die Beschwerde jedoch zugelassen; bei pflichtgemäßem Verhalten hätte die Abführung der Lohnsteuer der Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO unterlegen.
Entscheidung
Die Beschwerde des Finanzamts ist unbegründet. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob Kausalität zwischen der – vom BFH als nicht zweifelhaft angesehenen – schuldhaften Pflichtverletzung und dem Forderungsausfall des Finanzamts besteht. Denn nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde, sofern der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und wenn der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit oder Umstände kannte, die darauf zwingend hätten schließen lassen. Der BFH hat die Anwendbarkeit der Vorschrift zwar in einem vergleichbaren Fall unter dem Gesichtspunkt des § 142 InsO, also eines sog. Bargeschäfts, beiläufig verneint. Damit ist er allerdings auf gewichtige Kritik des BGH gestoßen. Die subjektive Seite des § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO scheint im Streitfall – anders als im Falle des Beschlusses vom 21.12.1998 – zu bejahen zu sein.
Praxishinweis
Die strenge Haftung des Geschäftsführers für nicht abgeführte Lohnsteuer wird vom BFH seit langem propagiert und ebenso lange insbesondere im Schrifttum bekämpft. Sie dürfte in mancher Hinsicht in einem Spannungsverhältnis zur BGH-Rechtsprechung zum Insolvenzrecht stehen. Es muss abgewartet werden, wie sie sich weiter entwickelt.
Zu beachten ist, dass eine Beschwerde im Aussetzungsverfahren nur zulässig ist, wenn sie vom FG zugelassen wurde, was allerdings auch wegen der grundsätzlichen Bedeutung der – nur "überschlägig" zu prüfenden – materiell-rechtlichen Fragen geschehen kann. Ein Rechtsbehelf gegen die Nichtzulassung der Beschwerde im Beschluss des FG ist nicht gegeben.
Link zur Entscheidung
BFH-Beschluss vom 11.8.2005, VII B 244/04