Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfordernis einer ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige
Leitsatz (redaktionell)
1. Enthält bei einer nach dem § 17 Abs. 1 KSchG anzeigepflichtigen Massenentlassung die Anzeige gegenüber der Agentur für Arbeit nicht die in § 17 Abs. 3 Satz 5 KSchG genannten Angaben (sog. "SollAngaben") und werden diese nicht vor dem Zugang der Kündigung gegenüber der Agentur für Arbeit nachgeholt, führt dies zur Unwirksamkeit der Kündigung. 2. Eine Heilung des Fehlers durch nachträgliche Bestätigung der Vollständigkeit durch die Agentur für Arbeit oder durch Nichtbeanstandung ist nicht möglich.
Normenkette
KSchG § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 16.09.2020; Aktenzeichen 11 Ca 4529/19) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten zu 1) gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 16. September 2020 - 11 Ca 4529/19 - wird zurückgewiesen.
Von den Gerichtskosten der Berufung hat die Klägerin 57% und die Beklagte zu 1) 43% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Berufung der Klägerin hat die Beklagte zu 1) zu 43% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2) und 3) der Berufung hat die Klägerin voll zu tragen, die der Beklagten zu 1) zu 39%. Im Übrigen tragen die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch um die Wirksamkeit einer ordentlichen, aus betriebsbedingten Gründen ausgesprochenen Kündigung der Beklagten zu 1) (künftig: Beklagte). Erstinstanzlich hat die Klägerin noch zwei weitere Unternehmen unter dem Gesichtspunkt des § 613a BGB verklagt und ist insoweit unterlegen.
Die gegen die Beklagte zu 2) und zu 3) zunächst eingelegte Berufung hat die Klägerin zurückgenommen.
Die Klägerin war bei der Beklagten aufgrund schriftlichen mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten geschlossenen Arbeitsvertrags (von der Klägerin nur in englischer Sprache zur Akte gereicht, Bl. 51 der Akte) seit dem 17. Oktober 1988 zuletzt als Mitarbeiterin im Processing mit einem durchschnittlichen Bruttomonatslohn von € 4631,25 tätig.
Die Beklagte beschäftigte regelmäßig 21 Mitarbeiter am Standort Kronberg sowie weitere Mitarbeiter an anderen Standorten sowie im Home Office. Ein Betriebsrat besteht nicht.
In der Zeit vom 18. Juni 2019 bis zum 18. Juli 2019 kündigte die Beklagte insgesamt 17 Arbeitsverhältnisse. Die verbleibenden Arbeitsverhältnisse wurden durch sie jeweils unter Beachtung der individuell maßgeblichen Kündigungsfrist gekündigt.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 18. Juni 2019, ihr zugegangen am gleichen Tag, zum 31. Januar 2020 (Bl. 4,5 der Akte).
Die Beklagte hat der Klägerin gegenüber am 25. September 2020 eine weitere ordentliche Kündigung zum 30. April 2021 ausgesprochen, das Verfahren betreffend die von der Klägerin hiergegen vor dem Arbeitsgericht Frankfurt erhobene Kündigungsschutzklage (11 Ca 7768/20) ist ausgesetzt.
Mit Schreiben vom 19. Juli 2019 (Bl. 205 ff. der Akte) hat die Beklagte der Agentur für Arbeit Bad Homburg die Anlage zu Feld 34 der Entlassungsanzeige übersendet, die bei dieser - wie zuletzt unstreitig - am 23. Juli 2019 eingegangen ist.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam und insoweit unter anderem die Verletzung von § 17 KSchG gerügt.
Die Beklagte hat eine Massenentlassungsanzeige vom 17. Juni 2019 zur Akte gereicht (Bl. 97 ff. der Akte) und insoweit behauptet, diese sei der Agentur für Arbeit Bad Homburg am 18. Juni 2019 um 9:17 Uhr zugegangen. Wegen des Inhalts des Schreibens wird auf Bl. 97 ff. der Akte Bezug genommen. Weiterhin hat sie ein Schreiben der Agentur für Arbeit Bad Homburg vom 18. Juni 2019 zur Akte gereicht (Bl. 103 der Akte), indem diese bestätigt, dass die Entlassungsanzeige am 18.6.2019 um 9:17 Uhr vollständig eingegangen sei und mitteilt, die gemäß § 18 Abs. 1 KSchG festzusetzende Entlassungssperre ende am 18. Juli 2019.
Am 5. Februar 2020 ist gegen die Klägerin ein klageabweisendes Versäumnisurteil ergangen (Bl. 258 der Akte), das ihr am 14. Februar 2020 zugestellt worden ist (Bl. 260 der Akte). Hiergegen hat die Klägerin am 20. Februar 2020 Einspruch eingelegt (Bl. 262 ff. der Akte).
Wegen des erstinstanzlichen Parteivorbringens im Übrigen, ihrer Anträge, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat mit Urteil vom 16. September 2020 das Versäumnisurteil vom 5. Februar 2020 teilweise aufgehoben und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 18. Juni 2019 aufgelöst worden ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat die Kündigung als unwirksam angesehen, weil die Massenentlassungsanzeige der Beklagten den Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 S. 5 KSchG n...