Rz. 16
Was die Rechtsstellung der Vorstandsmitglieder im Verhältnis zur Genossenschaft betrifft, so gilt es deutlich zwischen dem organschaftlichen Akt der Bestellung und dem zugrunde liegenden schuldrechtlichen Anstellungsvertrag zu unterscheiden. Dabei betrifft die Bestellung den körperschaftlichen Akt, d. h. die Begründung der Organstellung. Mit Abschluss des Bestellungsaktes (vgl. unten 5) oder zu dem im Bestellungsbeschluss bestimmten Zeitpunkte erlangt der Bewerber die Stellung eines Vorstandsmitglieds. Er ist nunmehr aufgrund seiner Organstellung zum Handeln für die Genossenschaft befugt und verpflichtet. Zudem ist er Inhaber der unbeschränkten und unbeschränkbaren organschaftlichen Vertretungsmacht (§ 27 Abs. 2). Seine Handlungen sind der Genossenschaft als eigene zuzurechnen. Dies gilt sowohl für Willenserklärungen (Vertragsangebote, Annahmeerklärungen etc.) und geschäftsähnliche Handlungen (wie Mahnungen, Fristsetzungen etc. – vgl. § 164 BGB), als auch für die – vertragliche oder deliktische – Schädigung Dritter im Zusammenhang mit der Organstellung (§ 31 BGB; vgl. Vor § 34 RN 1 ff.). Die Kenntnis der Vorstandsmitglieder hinsichtlich rechtserheblicher Umstände gilt als Kenntnis der Genossenschaft (§ 166 Abs. 1 BGB).
Rz. 17
Demgegenüber betrifft der Anstellungsvertrag ausschließlich die schuldrechtliche Bindung zwischen dem Organwalter und der Genossenschaft als juristischer Person. Hierbei handelt es sich – sofern die Tätigkeit des Vorstandsmitglieds entgeltlich (besoldet) erfolgt – um einen Dienstvertrag gem. § 611 ff. BGB. Erfolgt die Tätigkeit unbesoldet (ehrenamtlich), so liegt ein Auftragsverhältnis vor (§§ 662 ff. BGB). Gegenstand der Vertragsabrede sind insbesondere die Besoldung des Organwalters bzw. sein Anspruch auf Aufwendungsersatz sowie die Konkretisierung seiner Geschäftsführungspflicht einschließlich der ergänzenden Leistungen und Nebenleistungen im gegenseitigen Austauschverhältnis.
Rz. 18
Beide Rechtsverhältnisse – Bestellung und Anstellungsvertrag – stehen in einem engen wirtschaftlichen Zusammenhang, unterliegen in rechtlicher Sicht jedoch einer getrennten Betrachtung. Sowohl in ihrer Entstehung als auch hinsichtlich ihrer Beendigung sind die Organstellung und das Vertragsverhältnis in ihrem rechtlichen Schicksal voneinander unabhängig. Weder begründet die Wahl zum Vorstand ein Dienstverhältnis bzw. die Verpflichtung zum Abschluss eines Anstellungsvertrags, noch ersetzt der Anstellungsvertrag den Bestellungsakt. Hinsichtlich der Beendigung der Vorstandsstellung bringt das Gesetz dies mittelbar zum Ausdruck, indem es auf die rechtliche Unabhängigkeit des Anstellungsvertrags verweist: Die Bestellung ist jederzeit widerruflich, ›unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen‹ (§ 24 Abs. 3 S. 2).
Rz. 19
Zudem weist das Gesetz die Kompetenz hinsichtlich der Bestellung und dem Abschluss des schuldrechtlichen Anstellungsvertrags unterschiedlichen Gesellschaftsorganen zu (vgl. § 24 Abs. 2 einerseits, § 39 Abs. 1 andererseits). Allerdings kann die Satzung eine abweichende Regelung vorsehen und die Befugnis zur Bestellung und Anstellung einheitlich dem Aufsichtsrat übertragen (§ 24 Abs. 2 S. 2; vgl. aber § 21 Abs. 4 S. 4 MusterS, welche den Widerruf der Bestellung ausschließlich der Generalversammlung zuweist), um so Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Dabei gilt es allerdings zu beachten, dass der Entscheidung hinsichtlich der Bestellung – also des ›Ob‹ – zwingend der Vorrang gegenüber den Vereinbarungen des Anstellungsvertrags – d. h. des ›Wie‹ – zukommt. Das Anstellungsorgan darf somit dem Beschluss des Bestellungsorgans weder bei der Begründung noch bei der Beendigung des Organverhältnisses vorgreifen (vgl. unten 8.2 sowie 8.4).
Rz. 20
Der hier zutage tretende Trennungsgrundsatz führt in der Praxis gelegentlich zu Unstimmigkeiten, da nicht deutlich zwischen beiden Regelungsebenen – Bestellung und Anstellung – unterschieden wird. Durch eine sorgfältige Abstimmung von Satzung und Anstellungsvertrag – insbesondere hinsichtlich der Kompetenzordnung – können die auftretenden Konflikte – zumindest teilweise – vermieden werden.
Rz. 21
Sieht man von der systematischen Trennung beider Rechtsverhältnisse ab, so wird die Pflichtenbindung der Vorstandsmitglieder weitgehend durch die Begründung der Organstellung bestimmt. Das Fehlen oder die Unwirksamkeit des Anstellungsvertrags hat folglich keine Auswirkungen auf die seitens des Organwalters geschuldete Sorgfalts- und Treuepflicht sowie dessen Haftung im Innen- und Außenverhältnis (vgl. § 34 RN 6). Selbst die Unwirksamkeit des Bestellungsaktes lässt die Pflichtenstellung des ›faktischen‹ Vorstandsmitglieds unberührt, sobald dieses sein Amt tatsächlich übernommen hat (vgl. unten 6.2).