Rz. 83
Die Einwirkung des Mitglieds auf den innergenossenschaftlichen Willensbildungsprozess erfolgt zuvörderst vermittels der Ausübung des Stimmrechts in der Generalversammlung. Dabei kommt jedem Mitglied unabhängig von der Höhe seiner Geschäftsanteile, deren Anzahl und den hierauf geleisteten Einzahlungen, grundsätzlich eine Stimme zu (§ 43 Abs. 3 S. 1). Insofern folgt die Genossenschaft – abweichend von den Kapitalgesellschaften (AG, GmbH) – einer personalistischen Ausgestaltung des Stimmrechts. Ein Kapitalstimmrecht ist im Unterschied zu § 37 Abs. 3 des österreichischen GenG bisher nicht vorgesehen. Mehrstimmrechte sind nur in den Grenzen des § 43 Abs. 3 S. 3 Nr. 1 bis 3 zulässig (vgl. unten). Das Stimmrecht kann dabei durch die Satzung weder entzogen noch eingeschränkt werden (Bauer § 43 RN 113; Beuthien § 43 RN 17; Lang/Weidmüller/Holthaus/Lehnhoff § 43 RN 42; Müller § 43 RN 48); sein Ausschluss bestimmt sich abschließend nach § 43 Abs. 6 (unten 3.3.7). Es ist untrennbar mit der Mitgliedsstellung verbunden und kann nicht von dieser getrennt werden. Eine Ausnahme gilt gem. § 8 Abs. 2 Satz 2 letzter Hs. GenG. Nach der im Rahmen der Genossenschaftsnovelle 2017 (BGBl. I S. 2434) angefügten Bestimmung kann die Satzung das Stimmrecht investierender Mitglieder auch vollständig ausschließen. Zweck der Regelung ist sicherzuzustellen, das investierende Mitglieder die anderen Mitglieder nicht überstimmen können und dass Beschlüsse, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern, nicht durch investierende Mitglieder verhindert werden können.
Sieht man hiervon ab, so kommt auch die Ausübung des Stimmrechts durch gesetzliche und rechtsgeschäftliche Vertreter (Bevollmächtigte) in Betracht (siehe unten 3.3.5). Das Stimmrecht beginnt mit dem Erwerb der Mitgliedschaft und endet mit dieser. Hat ein Mitglied zum Ende des Geschäftsjahrs seinen Austritt erklärt (§ 65 Abs. 2 GenG; § 7 Abs. 2 MusterS), so steht ihm bis zum Zeitpunkt des endgültigen Ausscheidens das Stimmrecht uneingeschränkt zu. Wird ein Mitglied aus der Genossenschaft ausgeschlossen, so endet das Recht zur Teilnahme an der Generalversammlung und damit das Stimmrecht mit der Absendung des eingeschriebenen Briefs durch den Vorstand (§ 68 Abs. 2 S. 2; § 11 Abs. 4 S. 2 MusterS).
Rz. 84
Bei Minderjährigen erfolgt die Ausübung des Stimmrechts durch die gesetzlichen Vertreter, in der Regel durch beide Eltern gemeinsam (§ 43 Abs. 4 S. 2 GenG; §§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1 S. 2 BGB). Ist das Kind beschränkt geschäftsfähig (§ 106 BGB), so kann es mit deren Einwilligung auch selbst abstimmen (§ 107 BGB; vgl. Bauer § 43 RN 150). Für geschäftsunfähige Betreute erfolgt die Abstimmung seitens des Betreuers (§ 1902 BGB). Für nicht geschäftsunfähige Betreute handelt der Betreuer im Rahmen seiner Bestellung, soweit kein Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 BGB) zugunsten des Mitglieds besteht (Bauer § 43 RN 151; Müller § 43 RN 49 b). Die Ausübung des Stimmrechts juristischer Personen des privaten oder öffentlichen Rechts (Kommunen) obliegt deren organschaftlichen bzw. gesetzlichen Vertretern (Vorstand, Geschäftsführer, Bürgermeister), bei Personengesellschaften den vertretungsberechtigten Gesellschaftern (§ 43 Abs. 4 S. 2). Allerdings kommt bei Handelsgesellschaften auch die Vertretung durch Prokuristen (§§ 48 ff. HGB) oder Generalhandlungsbevollmächtigte (§ 54 HGB) in Betracht (Bauer § 43 RN 153; Müller § 43 RN 56). Hinsichtlich der Organwalter und der Prokuristen genügt zum Nachweis der Vertretungsbefugnis regelmäßig ein Auszug aus dem Handel- oder Genossenschaftsregister (Bauer a. a. O.; Müller § 43 RN 57). Sind wie im Falle der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger oder nach Maßgabe der Satzung juristischer Personen mehrere Personen nur gemeinschaftlich zur Vertretung berechtigt, so müssen diese – sofern sie nicht in vertretungsberechtigter Zahl erscheinen – dem Handelnden schriftliche Stimmvollmacht erteilen (§ 43 Abs. 5 S. 2; Bauer § 43 RN 150). Wird die juristische Person oder Handelsgesellschaft aufgelöst, so endet ihre Mitgliedschaft und damit das Stimmrecht mit dem Abschluss des Geschäftsjahres, in dem die Auflösung wirksam wird (vgl. § 77 a GenG; Lang/Weidmüller/Holthaus/Lehnhoff § 43 RN 44). Im Falle der Erbengemeinschaft kann das Stimmrecht nur durch einen gemeinschaftlichen Vertreter ausgeübt werden (§ 77 Abs. 1 S. 3 GenG; § 9 S. 3 MusterS). Erfasst eine Testamentsvollstreckung auch den Geschäftsanteil, so kommt das Stimmrecht dem Testamentsvollstrecker zu (§§ 2205, 2211 BGB; BGH NJW 1959, S. 1820 f.; OLG Hamm BB 1956; S. 511; Bauer § 43 RN 152). Gleiches gilt zugunsten des Nachlassverwalters (§ 1985 BGB; Bauer a. a. O.). Ist über das Vermögen des Mitglieds das Insolvenzverfahren eröffnet worden, so obliegt die Ausübung des Stimmrechts gem. § 80 Abs. 1 InsO dem Insolvenzverwalter (Bauer § 43 RN 153; Müller § 43 RN 51 c; Lang/Weidmüller/Holthaus/Lehnhoff § 43 RN 44).
Rz. 85
Eine Sonderregelung bestand bereits seit der Genossenschaftsnovelle 2006 gem. § 8 Abs. 2, soweit es das...