Rz. 38
Weist die Überschuldungsbilanz eine rechnerische Überschuldung auf, ist zu prüfen, ob für das Unternehmen eine positive Fortführungsprognose abzugeben ist. Ist das der Fall, liegt trotz rechnerischer Überschuldung keine Überschuldung im Rechtssinne vor, so dass ein Insolvenzantrag nicht gestellt werden muss.
Rz. 39
Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO idF. des FMStG setzt eine positive Fortführungsprognose voraus, dass die Fortführung des Unternehmens ›nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich (ist)‹. Spricht allenfalls genau so viel für wie gegen sein Fortbestehen, muss die Fortführungsprognose negativ ausfallen, weil die Fortführung nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Anders als nach § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, kann die Fortführung der Unternehmenstätigkeit (going-concern-Prinzip) hier also nicht als Regelfall begriffen werden.
Rz. 40
Es versteht sich von selbst, dass ein Fortbestehen des Unternehmens nur dann in Betracht gezogen werden kann, wenn der Unternehmensträger das Unternehmen fortführen will. Der Fortführungswille kann sich auch auf bestimmte als rentabel eingeschätzte Unternehmensteile beschränken. Doch muss sichergestellt sein, dass auch die dem Unternehmensträger aus der Nichtfortführung von Unternehmensteilen nach Abzug etwaiger Erlöse aus der Teilliquidation verbleibenden Verbindlichkeiten innerhalb des Prognosezeitraums bezahlt werden können. Die entscheidende Frage ist die, ob aufgrund der wirtschaftlichen Gegebenheiten die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens oder Unternehmensteils, den der Schuldner fortführen will, gewährleistet ist.
Rz. 41
Die Annahme der Fortführungsfähigkeit des Unternehmens erfordert eine Voraussage über die mittelfristige Zahlungsfähigkeit des Unternehmensträgers. Die Fortführungsprognose soll darüber Auskunft geben, ob die Finanzkraft des Unternehmens, das er fortführen will, nach überwiegender Wahrscheinlichkeit ausreicht, trotz rechnerischer Überschuldung die gegenwärtigen und künftigen Verbindlichkeiten zu bezahlen. Eine positive Fortführungsprognose kann daher nur abgegeben werden, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Unternehmensträger zu keinem Zeitpunkt innerhalb des Prognosezeitraums zahlungsunfähig wird. Erweist sich eine zunächst positive Prognose später als falsch, entstehen die Insolvenzgründe der Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung in diesem Fall zeitgleich.
Rz. 42
Darauf, ob das Unternehmen mittelfristig Gewinne abwirft, soll es nicht entscheidend ankommen. Mit der Begründung, dass es nur darum geht, ob der Unternehmensträger seine Schulden bezahlen kann, soll es nach verbreiteter Auffassung auch keine Rolle spielen, ob das Unternehmen mittelfristig wieder ohne Verlust arbeiten kann. Diese Sicht der Dinge war jedoch schon fraglich, als einer positiven Fortführungsprognose nach § 19 Abs. 2 Satz 2 InsO 1999 nur die Wirkung zukam, die Aktivposten des Schuldnervermögens mit Fortführungswerten ansetzen zu können. Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO idF. des FMStG hat die Fortführungsprognose nun aber eine weit stärkere Bedeutung erlangt: Mit ihrer Einschätzung als positiv verhindert sie die Insolvenz eines rechnerisch überschuldeten Unternehmensträgers. Dann aber bedarf die Voraussage über die Finanzkraft des Unternehmens erst recht gesteigerter Werthaltigkeit durch Einbeziehung auch seiner mutmaßlichen Ertragsfähigkeit. Unterstützung findet dieser Standpunkt durch den Gesetzgeber in der Begründung zu Art. 5 des FMStG (BT. Drucks. 16/10600, S. 13), der den Zweck des § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO i. d. F. des FMStG darin sieht, rechnerisch überschuldete Unternehmen dann vor einem Insolvenzverfahren zu schützen, wenn bei ihnen die überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht, ›dass sie weiter erfolgreich am Markt operieren können‹.
Rz. 43
Das bedeutet aber nicht notwendigerweise, dass das Unternehmen auch in der Lage sein muss, seine Aufwendungen ausschließlich aus eigener Kraft zu bestreiten. Neben der Innenfinanzierung des Unternehmensträgers dürfen darum auch alle erkennbaren Möglichkeiten der Außenfinanzierung berücksichtigt werden, wie z. B. eine Erhöhung der Geschäftsanteile, Gesellschafterdarlehen und die Aufnahme von Krediten. Obwohl eine Kreditaufnahme die Verbindlichkeiten erhöht und damit die (rechnerische) Überschuldung vergrößert, ist eine solche Maßnahme hier solange unschädlich, wie es überwiegend wahrscheinlich ist, dass die vereinbarten Zins- und Tilgungsleistungen erbracht werden können.
Rz. 44
Bezüglich des Prognosezeitraums wird von einer mittelfristigen Prognose ausgegangen, die im Regelfall das laufende und das darauf folgende Geschäftsjahr umfasst. Ein längerer Zeitraum würde die einer jeden Prognose innewohnende Unsicherheit untragbar erhöhen. Ein kürzerer Zeitraum enthielte angesichts der rechnerischen Überschuldung des Unternehmensträgers ein zu geringes Maß an Perspektive für eine positive Entwicklung seines Unternehmens.
Rz. 45
Sollte die rechnerische Überschuldung des Unternehmensträgers trotz positiver Fortführungsprognose über...