Rz. 52
Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 InsO sind antragsverpflichtet ›die Mitglieder des Vertretungsorgans‹, also des Vorstands der eG, nach Auflösung der eG der oder die Abwickler (Liquidatoren). Sie treten an die Stelle des Vorstands und leiten die eG entsprechend unter eigener Verantwortung nach Maßgabe von § 89. In Ansehung der Insolvenz der eG gelten für sie die gleichen Regeln.
Rz. 53
Vorbehaltlich abweichender Satzungsgestaltung (§ 25 Abs. 2) oder Einzelermächtigung (§ 25 Abs. 3) gilt bei der Abgabe von Willenserklärungen im Namen der eG Gesamtvertretungsbefugnis sämtlicher Vorstandsmitglieder (siehe die Kommentierung zu §§ 25, 26, 27 Abs. 2 unter 3). Da der Vorstand der eG aus mindestens zwei Mitgliedern besteht (§ 24 Abs. 2 Satz 1), könnte dies für das einzelne Vorstandsmitglied wegen seiner haftungs- und strafrechtlichen Verantwortlichkeit im Falle der Insolvenz des Unternehmens zu einer prekären Situation führen, wenn das/die andere(n) Vorstandsmitglieder sich einer Antragstellung widersetzen. Aus diesem Grunde bestimmt § 15 Abs. 1 InsO, dass jedes Mitglied des Vertretungsorgans allein berechtigt ist, den Insolvenzantrag zu stellen. Von dieser Berechtigung Gebrauch zu machen, ist kraft seiner haftungs- (§§ 34, 148) und strafbewehrten (§ 15 a Abs. 4 und 5 InsO) Verantwortlichkeit zugleich die Pflicht jedes einzelnen Vorstandsmitglieds. Dieser Antragspflicht kann es sich auch nicht durch Amtsniederlegung entziehen; es muss vielmehr noch vor seinem Ausscheiden den Insolvenzantrag stellen, wenn unsicher ist, ob die verbleibenden Vorstandsmitglieder ihn stellen.
Rz. 54
Die Verpflichtung zur Stellung des Insolvenzantrages ist zwingend. Von ihr können die Vorstandsmitglieder weder durch die Generalversammlung noch durch den Aufsichtsrat entbunden werden. Auch die Genossenschaftsgläubiger vermögen dies nicht; sie können nur durch Stundung den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit hinausschieben; zur Vermeidung der Überschuldung müssten sie schon einen Forderungsverzicht leisten. Bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes entfällt die Antragspflicht auch nicht deshalb, weil bereits ein Gläubiger nach § 14 InsO den Insolvenzantrag gestellt hat; denn er könnte seinen Antrag ja bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurücknehmen (§ 15 Abs. 2 InsO). Hat seine Antragstellung allerdings zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder zu seiner Abweisung mangels Masse geführt, entfällt die Notwendigkeit einer Antragstellung vonseiten der eG.
Rz. 55
Hinsichtlich des Zeitpunkts für das Entstehen der Antragspflicht lässt sich § 15 a Abs. 1 Satz 1 InsO entnehmen, dass dies der Augenblick ist, in dem die eG zahlungsunfähig oder überschuldet wird. Das ist genau genommen objektiv der Eintritt eines -der beiden Insolvenzgründe. Diese Feststellung spricht auf jeden Fall dafür, das Entstehen der Antragspflicht nicht auf den Zeitpunkt zu verlagern, in dem die Antragspflichtigen von der Insolvenz der eG positiv Kenntnis erhalten. Denn dann würde das Entstehen der Antragspflicht im Wesentlichen davon abhängen, ob und wie nachhaltig die Vorstandsmitglieder oder die Abwickler ihre nach §§ 34, 89 bestehenden Sorgfaltspflichten zur Beobachtung der wirtschaftlichen Lage der eG wahrnehmen. Deswegen ist es geboten, auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem die insolvenzbegründenden Tatsachen für einen ›ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiter‹ einer eG erkennbar zutage liegen. Es genügt also ein Kennenmüssen i. S. offensichtlicher Erkennbarkeit. (Lutter/Hommelhoff/Kleindiek Anh zu § 64 GmbHG RN 51; Scholz/K.Schmidt § 64 GmbHG RN 18; Großkom/Habersack § 92 AktG RN 62; R/S-L § 64 GmbHG RN 13). Das ist ein hinlänglich objektives Kriterium, das die Antragspflichtigen zugleich in die Lage versetzt, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Maßgebend ist die Sicht ex ante, d. h. vom Standpunkt des Betrachters vor Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (GroßKomm/Habersack § 92 AktG RN 62; Müller § 99 RN 3). Verkennt der Antragspflichtige die Voraussetzungen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, handelt es sich um einen unbeachtlichen Rechtsirrtum.
Rz. 56
Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist unschwer erkennbar, da er sich dem Antragspflichtigen ohne weiteres aufdrängt. Der Eintritt der Überschuldung wird sich oft nicht genau festlegen lassen. Unter Zugrundelegung der den Antragspflichtigen nach §§ 34, 89 obliegenden Sorgfaltspflichten wird von einer Erkennbarkeit der Überschuldung jedoch innerhalb eines hinnehmbar knappen Spielraums auszugehen sein.
Rz. 57
Mit dem Zeitpunkt des Entstehens der Antragspflicht beginnt auch die Dreiwochenfrist des § 15 a Abs. 1 Satz 1 InsO zu laufen. Sie kann den Antragspflichtigen nur zugute kommen, wenn sie den Insolvenzgrund alsbald erkennen (Scholz/K.Schmidt GmbHG, § 64 Anh RN 33). Sie ist eine Höchstfrist, die nicht überschritten werden darf. Innerhalb dieser Frist muss entweder der Insolvenzantrag gestellt oder der Insolvenzgrund beseitigt sein. Von einer Beseitigung des Insolvenzgrundes kann nur gesproch...