Leitsatz
Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der in einer Einspruchsentscheidung erteilten Rechtsbehelfsbelehrung ist ein Hinweis auf die Bedeutung des § 108 Abs. 3 AO für die Ermittlung des Tages der Bekanntgabe (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO) nicht erforderlich.
Sachverhalt
Das Finanzamt wies den Einspruch des S als unbegründet ab. In der Rechtsbehelfsbelehrung der Einspruchsentscheidung heißt es u.a. "… Die Frist für die Erhebung der Klage beträgt einen Monat. Sie beginnt mit Ablauf des Tages, an dem Ihnen diese Einspruchsentscheidung bekannt gegeben worden ist. Bei Zusendung durch einfachen Brief gilt die Bekanntgabe mit dem dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bewirkt, es sei denn, dass diese Einspruchsentscheidung zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist".
Die Einspruchsentscheidung wurde vom Finanzamt am Donnerstag, dem 5.6.2003, mit einfachem Brief zur Post gegeben. In seiner erst am 13.5.2004 beim FG eingegangenen Klageschrift führte S u.a. aus, die Klagefrist sei gewahrt. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gelte ein Verwaltungsakt am dritten Tag nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, sofern er nicht tatsächlich zu einem späteren Zeitpunkt oder überhaupt nicht zugegangen sei. Falle das Ende der Drei-Tages-Frist – wie hier – auf einen Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder Sonnabend, ende die Frist gemäß § 108 Abs. 3 AO erst mit Ablauf des folgenden Werktags. Darauf weise die Rechtsbehelfsbelehrung nicht hin. Sie sei daher unrichtig, so dass die Klage innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung zulässig sei. Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Die Revision blieb erfolglos.
Entscheidung
Im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter ist eine inhaltliche Überfrachtung der Rechtsmittelbelehrung zu vermeiden, die – statt Klarheit zu schaffen – wegen ihres Umfangs und ihrer Kompliziertheit Verwirrung stiftet. Deshalb reicht es aus, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Wortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergibt und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichtet. Danach ist es nicht erforderlich, dass die Rechtsbehelfsbelehrung einen Hinweis auf die Bedeutung des § 108 Abs. 3 AO enthält, die diese Bestimmung für den Zeitpunkt der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts durch die Rechtsprechung des BFH erhalten hat. Gibt die Rechtsbehelfsbelehrung zur Bestimmung des Zeitpunkts der Bekanntgabe den Wortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO vollständig wieder, so versetzt sie den Betroffenen in die Lage, sich bei Ausübung seiner Mitverantwortung für die Berechnung des Laufs der Frist die erforderliche Klarheit über den Fristbeginn zu verschaffen. Erforderlichenfalls ist er gehalten, sich die für die Berechung der Rechtsmittelfrist notwendigen Kenntnisse durch die Einholung von Rechtsrat bzw. einer finanzbehördlichen Auskunft zu beschaffen.
Praxishinweis
Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG erfordert es, dem rechtsuchenden Bürger den Weg zur gerichtlichen Überprüfung staatlichen Handelns klar vorzuzeichnen. Dem genügt allerdings – wie im vorstehenden Urteil m.E. zutreffend ausgeführt wird – eine Rechtsmittelbelehrung, welche die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen in ihrem wesentlichen Inhalt korrekt wiedergibt. Etwaige gleichwohl – insbesondere für den Laien – verbleibende Unklarheiten über die förmlichen Anforderungen des einzulegenden Rechtsmittels muss dieser grundsätzlich selbst beheben. Denn auch in einem Verfahren, in dem – wie hier – kein Vertretungszwang existiert, kann und muss vom Rechtsuchenden im Rahmen des Zumutbaren erwartet werden, er werde sich rechtzeitig über die Formerfordernisse des Rechtsmittels informieren. Will er sich im Einzelfall zwecks Kostenvermeidung nicht sofort an einen fachkundigen Berater wenden, kann er sich bei der betreffenden Behörde nach den Zulässigkeitsvoraussetzungen des einschlägigen Rechtsmittels erkundigen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 7.3.2006, X R 18/05