Leitsatz
- Stimmen in einem Mehr-Personen-Verhältnis die Vorstellungen des leistenden Finanzamts über den Zahlungszweck mit denen des Zahlungsempfängers nicht überein, hat die Bestimmung des Leistungsempfängers i.S. von § 37 Abs. 2 Satz 1 AO aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise aus der Sicht des Zahlungsempfängers zu erfolgen.
- Hat das Finanzamt aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses als Drittschuldner ein Erstattungsguthaben des Vollstreckungsschuldners ohne rechtlichen Grund an einen Vertreter oder Boten des Pfändungsgläubigers ausgezahlt, ist die Zahlung unmittelbar vom Pfändungsgläubiger und nicht von dessen Vertreter oder Boten zurückzufordern.
Sachverhalt
Der Kläger war beauftragt worden, eine Forderung des A gegen X einzuziehen. Er erwirkte zugunsten des Gläubigers einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen das Finanzamt, durch den künftige Einkommensteuer-Erstattungsansprüche des X gepfändet und A zur Einziehung überwiesen wurden. Später ging beim Finanzamt eine Einkommensteuererklärung für X ein, die als Erstattungskonto die Bankverbindung des Klägers und als Zustelladresse dessen Anschrift aufwies. Das Finanzamt erließ darauf einen Einkommensteuerbescheid, den es dem Kläger als Empfangsbevollmächtigtem des Schuldners X bekannt gab, und überwies das daraus resultierende Guthaben auf das Konto des Klägers. Jetzt fordert das Finanzamt jedoch den Erstattungsbetrag vom Kläger zurück. Dessen Auszahlung sei nämlich ohne rechtlichen Grund erfolgt, weil der Einkommensteuerbescheid mangels rechtswirksamen Antrags des Steuerpflichtigen auf Veranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG von Anfang an unwirksam gewesen sei; denn die Einkommensteuererklärung sei von diesem nicht persönlich unterzeichnet worden.
Entscheidung
Der Rückforderungsbescheid ist rechtswidrig. Gegen den Kläger besteht kein Rückforderungsanspruchs des Finanzamts, weil dieser nicht Leistungsempfänger i.S. des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO war. Das Finanzamt hat ihn zwar offenbar als Vertreter des Einkommensteuerschuldners angesehen. Aus der Sicht des Klägers war die Erstattung jedoch an ihn als Bevollmächtigten des Pfändungsgläubigers gerichtet, dessen (Empfangs-)Vollmacht er besaß. Deshalb kann das Finanzamt allenfalls bei jenem seine angeblich rechtsgrundlose Zahlung zurückfordern. Denn wer Zahlungsempfänger und damit eventuell Rückzahlungsschuldner ist, richtet sich im Dreiecksverhältnis nach dem Horizont des Empfängers, nicht nach dem inneren Willen des Zahlenden, also des Finanzamts.
Praxishinweis
Schuldner des Rückforderungsanspruchs ist derjenige, gegenüber dem das Finanzamt seine Verpflichtung erfüllen wollte. Der Empfänger einer Zahlung ist aber dann nicht Leistungsempfänger, wenn er lediglich als Zahlstelle, unmittelbarer Vertreter oder Bote für den Erstattungsberechtigten aufgetreten ist oder das Finanzamt aufgrund einer Zahlungsanweisung des Erstattungsberechtigten an ihn eine Steuererstattung ausgezahlt hat. Er ist hingegen auch dann Rückforderungsschuldner, wenn er als Bote, Vertreter oder Bevollmächtigter Erstattungszahlungen ohne Weisung oder Vollmacht des Berechtigten erhalten hat.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 30.8.2005, VII R 64/04