Leitsatz
Die AO enthält keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht im steuerlichen Verwaltungsverfahren besteht. Der Steuerpflichtige hat jedoch ein Recht darauf, dass die Finanzbehörde über seinen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Einsicht in die Ermittlungsakten der Steuerfahndungsstelle des Finanzamts während des Besteuerungsverfahrens. Das Finanzamt hat gegen den Kläger auf der Grundlage von Kontrollmitteilungen ein Steuerermittlungsverfahren gemäß der §§ 85, 208 Abs. 1 Nr. 3 AO angeordnet, in dessen Verlauf der Bevollmächtigte des Klägers um die Gewährung von Einsicht in die Ermittlungsakten – insbesondere das sog. "Fallheft" – der Steuerfahndungsstelle gebeten hat. Das Finanzamt lehnte die Akteneinsicht während des noch nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahrens ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Der BFH wies auch die Nichtzulassungsbeschwerde mangels grundsätzlicher Bedeutung der Sache ab.
Entscheidung
Der BFH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass die AO für das Verwaltungsverfahren keinen Anspruch auf Gewährung von Einsicht in die Verfahrens- und Ermittlungsakten vorsieht. Ein solches Einsichtsrecht ergibt sich nach Meinung des Gerichts weder aus § 91 Abs. 1 AO noch aus § 364 AO. Auch der AEAO begründet kein solches Recht. Gleichwohl geht der BFH davon aus, dass dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung durch die Finanzbehörde über einen entsprechenden Antrag zusteht. Das Finanzamt ist durch das Gesetz nicht gehindert, in Einzelfällen Akteneinsicht zu gewähren.
Das Gericht hat die behördliche Entscheidung jedoch nur daraufhin zu überprüfen, ob die Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht hat, die Grenzen ihres Ermessens überschritten oder dieses Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise ausgeübt hat. Der BFH sieht den Anspruch des Einsichtsuchenden auf fehlerfreie Ermessensentscheidung als gewahrt an, wenn das Finanzamt im Rahmen einer Interessenabwägung dessen Belange und die der Behörde gegeneinander abgewogen hat.
Im Streitfall hatte das Finanzgericht eine derartige fehlerfreie Ermessensausübung bejaht. Der BFH sah keinen Grund, die Sache anders zu beurteilen. Eine weitere Überprüfung scheidet aus, weil für diese Entscheidung die Interessenlage im Einzelfall zu beurteilen ist und der BFH als Rechtsmittelgericht bei der Revision auf die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung beschränkt ist.
Zwar kann eine von der Rechtsprechung bereits entschiedene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung sein, wenn z.B. neue gewichtige Argumente gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung vorgetragen werden, die das Gericht bisher nicht erwogen hat. Solche durchschlagenden Überlegungen vermochte der BFH aber nicht zu erkennen. Ein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Steuerverwaltungsverfahren ist nach seiner Meinung nicht praktikabel, weil diesem Gesichtspunkt der Schutz Dritter und das Ermittlungsinteresse der Finanzbehörden entgegenstünden. Außerdem entstehe bei der Finanzbehörde ein erheblicher Arbeitsaufwand. Denn diese müsste vor jeder Akteneinsicht prüfen, ob ein Geheimhaltungsinteresse Dritter beeinträchtigt sein könnte. Kontrollmaterial, behördeninterne Vermerke, Anweisungen und Ähnliches müssten unter Umständen arbeitsaufwändig aus den Akten entfernt werden. Die §§ 91, 364 AO und die hierzu ergangenen Verwaltungsanweisungen reichen, so die Richter, aus, um das Recht des Betroffenen, ausreichend rechtliches Gehör zu erhalten, zu gewährleisten.
Praxishinweis
Mündet das steuerliche Ermittlungsverfahren in ein Strafverfahren, steht dem Beschuldigten stets ein umfassendes Akteneinsichtsrecht zu. Das BVerfG verlangt, dass Akten und Beweisstücke nach Abschluss der Ermittlungen ohne Einschränkungen offen gelegt werden. Dieses Akteneinsichtsrecht bezieht sich auch auf Fallhefte sowie Beweismittelordner.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 04.06.2003, VII B 138/01