Leitsatz (amtlich)

Der Unternehmer kann sich für den Vorsteuerabzug aus Kosten für Reisen seines Personals, soweit es sich um Übernachtungskosten handelt, unmittelbar auf Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/ EWG berufen. Der Ausschluss dieser Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht nach § 15 Abs. 1aNr. 2 UStG ist insoweit unanwendbar.

 

Sachverhalt

Die Klägerin machte in ihren USt-Voranmeldungen für April und Mai 1999 den Vorsteuerabzug aus "belegmäßig nachgewiesenen Reisekosten der Arbeitnehmer für Übernachtung" von 1 826 DM (für April) und 2 505 DM (für Mai) geltend. Sie meinte, dass ein Vorsteuerabzugsverbot gegen Art. 17 der Richtlinie 77/388/ EWG verstoße. Die bezeichneten Übernachtungskosten hatte die Klägerin bezahlt. Sie waren überwiegend ihr und in einigen Fällen ihren Arbeitnehmern berechnet worden. Das Finanzamt setzte die USt-Vorauszahlungen ohne die erwähnten Vorsteuerbeträge fest. Die Klage hatte überwiegend Erfolg. Nur soweit in den Rechnungen über Übernachtungsleistungen statt der Klägerin einer ihrer Arbeitnehmer als Leistungsempfänger bezeichnet worden war, wies das FG die Klage ab[1]. Die Revision des Finanzamts blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Die Klägerin war Leistungsempfängerin, auch wenn sie die Übernachtungsmöglichkeiten tatsächlich ihren Arbeitnehmern einräumte[2]. Die Klägerin hat die Übernachtungsleistungen auch für ihr Unternehmen empfangen, weil sie sie bei Auswärtstätigkeiten ihrer Arbeitnehmer beansprucht hat, die für Zwecke ihres Unternehmens ausgeführt wurden. Der erforderliche unmittelbare Zusammenhang zwischen den von der Klägerin bezogenen Übernachtungsleistungen und ihren Ausgangsleistungen ist vorhanden, weil die Aufwendungen dafür zu den Kostenelementen ihrer besteuerten Umsätze zählen[3].

Der Ausschluss des Rechts auf Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG greift nicht durch. Zwar sind nach § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, die auf Reisekosten des Unternehmers und seines Personals entfallen, soweit es sich u.a. um Übernachtungskosten handelt. Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Vorschrift ist aber - soweit sie den Vorsteuerabzug für Reisekosten in Form von Übernachtungskosten ausschließt – nicht anwendbar. Sie ist insoweit mit Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG unvereinbar. Nach Art. 17 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige befugt, soweit Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, von der von ihm geschuldeten Steuer die im Inland geschuldete Mehrwertsteuer für Dienstleistungen abzuziehen, die ihm von anderen Steuerpflichtigen erbracht wurden oder erbracht werden. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH kann das Recht auf Vorsteuerabzug wegen seiner Bedeutung für das System der Mehrwertsteuer grundsätzlich nicht eingeschränkt werden[4]. Ausnahmen sind nur zugelassen, wenn sie in der Richtlinie 77/388/EWG selbst vorgesehen sind. Für die Bundesrepublik Deutschland besteht eine solche Ausnahme nicht.

Die Klägerin kann sich wegen der Unvereinbarkeit des Ausschlusses der Reisekosten, die auf Übernachtungskosten entfallen, vom Vorsteuerabzugsrecht durch § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG auf das ihr günstigere Gemeinschaftsrecht[5] berufen. Eine Vorlage an den EuGH nach Art. 234 EGV ist nicht geboten, weil keine Zweifel an der Auslegung des für die Entscheidung im Streitfall einschlägigen Gemeinschaftsrechts bestehen. Vielmehr geht die Entscheidung von den durch den EuGH geklärten Auslegungsgrundsätzen aus. Eine Vorlage an das BVerfG ist nicht erforderlich, weil der Senat § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG nicht für verfassungswidrig hält. Der Senat übt mit der (teilweisen) Nichtanwendung des § 15 Abs. 1a Nr. 2 UStG lediglich die vom BVerfG für verfassungskonform beurteilte Befugnis zur vorrangigen Anwendung des Gemeinschaftsrechts gegenüber unzutreffend umgesetztem innerstaatlichen Recht aus.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 23.11.2000 – V R 49/00

[2] Vgl. EuGH-Urteil vom 8.3.1988, Rs. 165/86, UR 1989, S. 190 Rn. 14
[4] Vgl. EuGH-Urteil vom 19.9.2000, Rs. C-177/99, UR2000, S. 474 Rn. 61,62

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