Leitsatz
Kommt es zu Gewinnverlagerungen von einem Veranlagungszeitraum in einen früheren Veranlagungszeitraum, so rechtfertigt dies keinen (teilweisen) Erlass des daraus resultierenden Überhangs der Nachzahlungszinsen für den früheren Veranlagungszeitraum über die Erstattungszinsen für den späteren Veranlagungszeitraum aus sachlichen Billigkeitsgründen.
Sachverhalt
Nach einer Betriebsprüfung vertrat das Finanzamt zutreffend die Auffassung, dass ein von S erzielter Veräußerungsgewinn nicht 1992, sondern bereits 1991 zu erfassen sei. Die entsprechenden Änderungsbescheide führten für 1991 zu einer Einkommensteuernachzahlung und für 1992 zu einer Steuererstattung in annähernd gleicher Höhe. Dementsprechend setzte das Finanzamt für 1991 Nachzahlungszinsen von 158151 DM und für 1992 Erstattungszinsen von 68201 DM fest. S begehrte u.a., auf 47660 DM Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen zu verzichten. Das Finanzamt lehnte dies ab. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Auf die Revision hob der BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.
Entscheidung
Bei nachträglichen Verschiebungen von Einkünften zwischen verschiedenen Veranlagungszeiträumen führt § 233a AO dazu, dass die zu erstattende Einkommensteuer für das eine Jahr zugunsten des Steuerpflichtigen zu verzinsen ist, während dem Fiskus Zinsen für die Einkommensteuernachforderung des anderen Jahres zustehen. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob ein Gewinn in einem früheren oder späteren Veranlagungszeitraum als bisher zu besteuern ist. Das Finanzamt hat den begehrten Erlass zu Recht unter Hinweis darauf abgelehnt, dass das Ausklammern von Gewinnverlagerungen aus der Vollverzinsung nach § 233a AO dem Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufen würde. In der öffentlichen Anhörung zum StRG 1990, mit dem die Verzinsung nach § 233a AO eingeführt wurde, hat der BDI u.a. eingewendet, dass die Verzinsung auch "bloße Gewinnverlagerungen" erfasse und daher Auseinandersetzungen zwischen Finanzverwaltung und Unternehmen zur Folge haben werde. Gleichwohl hat der Gesetzgeber an der Verknüpfung der Vollverzinsung nach § 233a AO mit der jahrgangsbezogenen Steuerfestsetzung festgehalten und keine Sonderregelung für Fälle getroffen, in denen Steuernachforderungen in einem engen sachlichen Zusammenhang mit Steuererstattungen stehen.
Dass das Finanzamt im Streitfall nicht verpflichtet war, einen Billigkeitserlass auszusprechen, ergibt sich auch aus Gründen der verfahrensrechtlichen "Waffengleichheit". Führen nachträgliche Erkenntnisse dazu, dass positive Einkünfte in einem späteren Veranlagungszeitraum zu erfassen sind, übersteigen die dem Steuerpflichtigen zu zahlenden Erstattungszinsen die von diesem zu entrichtenden Nachzahlungszinsen.
Praxishinweis
Der Entscheidung ist m.E. zuzustimmen. Ihr steht das BFH-Urteil vom 15.10.1998 nur scheinbar entgegen. Dieses Urteil beruhte auf der hier nicht gegebenen Besonderheit, dass zwar die Nachzahlung für den späteren Veranlagungszeitraum (1989) zur Festsetzung von Nachforderungszinsen führte, die korrespondierende Steuererstattung für den Veranlagungszeitraum der ursprünglichen Berücksichtigung des Veräußerungsgewinns (1988) jedoch mangels zeitlicher Anwendbarkeit des erst ab 1989 geltenden § 233a AO keine Festsetzung von Erstattungszinsen nach sich zog.
Eine sachliche Unbilligkeit ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwider läuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eines Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können einen Billigkeitserlass nicht rechtfertigen. Denn die generelle Geltungsanordnung des Gesetzes darf durch eine Billigkeitsmaßnahme nicht unterlaufen werden.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 16.11.2005, X R 3/04