Leitsatz
Ein Erlass von Nachzahlungszinsen aus sachlichen Gründen kommt nicht in Betracht, wenn die Zinsforderung darauf beruht, dass der Steuerpflichtige nachträglich – aber vor dem 31.12.1995 – auf die Steuerfreiheit eines Umsatzes verzichtet hat.
Sachverhalt
Der Kläger veräußerte im Januar 1992 die Betriebsstätte einer GmbH für 900000 DM. Die gesetzliche Umsatzsteuer sollte hinzukommen, soweit sie zu entrichten sei. Am 10.7.1995 erteilte der Kläger der Käuferin eine Rechnung, in der er ausgehend von einem "Nettokaufpreis" von 900000 DM und 8150 DM "hälftiger Grunderwerbsteuer" Umsatzsteuer in Höhe von 127141 DM gesondert auswies. Darauf erhöhte das Finanzamt die Umsatzsteuer 1992 um 127141 DM und setzte gegen den Kläger Zinsen gemäß § 233a AO in Höhe von 10168 DM fest. Im August 1995 beantragte der Kläger den Erlass der Nachzahlungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen, weil ein Zinsvorteil, der durch Nachzahlungszinsen abgeschöpft werden könne, nicht entstanden sei; er habe die im Jahr 1995 abgeführte Umsatzsteuer nicht im Jahr 1992 von der Käuferin erhalten. Das FG gab der Klage gegen die Erlassablehnung statt. Der BFH hob die Entscheidung auf.
Entscheidung
Die Festsetzung der Nachzahlungszinsen widerspricht nicht den der Verzinsungsregelung des § 233a AO zugrunde liegenden Wertungen. Mit der Regelung sollen Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen oder dem Fiskus aus dem im Verhältnis zur Steuerentstehung verspäteten Erlass eines Steuerbescheids typischerweise entstanden sind, ausgeglichen werden. Ob mögliche Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich.
Der Kläger hat in der Rechnung vom 10.7.1995 die Grundstückslieferung aus 1992 rückwirkend als steuerpflichtigen Umsatz behandelt; daraus ergab sich die "Möglichkeit" eines Zinsvorteils. Zwar sieht § 233a Abs. 2 a AO bei einem "rückwirkenden Ereignis" den Beginn des Zinslaufs erst ab dem Jahr des Ereignisses vor. Diese Regelung ist hier aber nicht anwendbar. Die 1997 eingefügte Vorschrift gilt nach Art. 97§ 15 Abs. 8 EGAO in allen Fällen, in denen das "rückwirkende Ereignis" nach dem 31.12.1995 eingetreten ist. Der Kläger hat bereits 1995 die 1992 ausgeführte Grundstückslieferung als steuerpflichtig behandelt. Überdies ist der nachträgliche Verzicht nach § 9 UStG kein "rückwirkendes Ereignis".
Praxishinweis
§ 233a UStG ist als strenge Vorschrift konzipiert. Ihre Folgen sind unerfreulich und auch im Billigkeitsweg selten zu vermeiden. Hinzu kommt, dass nach der BFH-Rechtsprechung der Verzicht nach § 9 UStG als "Wahlrecht", nicht als rückwirkendes Ereignis gilt. Das ist angesichts der gesetzlichen Rückwirkung eines "gewählten" Verzichts zwar schwer zu verstehen, ist aber Folge der ständigen Rechtsprechung zur Rechtsnatur von Wahlrechten.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 23.10.2003, V R 2/02