Leitsätze (amtlich)
Ein volljähriges behindertes und voll stationär untergebrachtes Kind ist dann nicht i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG 1996 außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es mit seinen eigenen Mitteln den gesamten Lebensbedarf decken kann.
Dieser Lebensbedarf bemisst sich im Jahr 1997 typischerweise nach einem Grundbedarf in Höhe von 12 000 DM und einem zusätzlichen behinderungsbedingten Mehrbedarf (gegen R 180d Abs. 4 Satz 5 EStR 1996-1998 und DA-FamEStG 63.3.63 Abs. 5).
Zum behinderungsbedingten Mehrbedarf gehören die Kosten der voll stationären Unterbringung mit Ausnahme des nach der Sachbezugsverordnung ermittelten Wertes der Verpflegung. Daneben kann ein pauschaler behinderungsbedingter Mehrbedarf in Höhe der Behinderten-Pauschbeträge nach § 33b Abs. 3 EStG nicht zusätzlich angesetzt werden.
Sachverhalt
Die 1971 geborene Tochter der Klägerin ist nach einem Kindergartenunfall schwerbehindert und zu 100 % erwerbsgemindert. Sie ist seit 1992 in einem Behindertenwohnheim untergebracht und in einer Werkstatt für Behinderte beschäftigt. Die anfallenden Kranken- und Rentenversicherungsbeiträge werden vom Kostenträger der Werkstatt übernommen. Vom zuständigen Gemeindeunfallversicherungsverband erhält die Tochter Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Für die Unterbringung im Wohnverbund werden 123,70 DM und für die Unterbringung im Arbeitsbereich der Werkstatt 51,40 DM jeweils täglich als Pflegegeld gezahlt. Die Tochter erhielt 1997 von der Unfallversicherung ferner eine Unfallrente von 9 642 DM. Die Unfallversicherung erstattet der Klägerin ferner nach Einzelabrechnung die Kosten für Fahrten, insbesondere Besuchsfahrten der Klägerin zu ihrer Tochter. Die Klägerin erhält von der Unfallversicherung ferner Pflegegeld, wenn die Tochter zu Hause versorgt wird. Der Beklagte (Familienkasse) versagte ab 1.1.1997 die Gewährung von Kindergeld. Klage und Revision der Klägerin blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
In Anwendung der vom Senat entwickelten Grundsätze verfügte die Tochter über ausreichende Mittel, um ihren gesamten existenziellen Lebensbedarf zu decken. Neben den Kosten für die Heimunterbringung ist wegen der persönlichen Betreuung durch die Klägerin u.a. an Wochenenden ein zusätzlicher Bedarf in Höhe des gewährten Pflegegeldes von 1 074 DM sowie der behindertenbedingten Fahrtkosten von 883 DM anzuerkennen. Angesichts der Heimunterbringung und mangels anderen Vortrags besteht kein Anlass, die Pauschalierungsregelung in H 186-189 (Fahrtkosten Behinderter) EStH 1996-1998 anzuwenden.
Der Gesamtbedarf der Tochter berechnet sich somit wie folgt: Grundbedarf 12 000 DM + Heimunterbringung 63 036 DM ./. Verpflegung 4 212 DM + Pflegebedarf 1 074 DM + Fahrtbedarf 883 DM = Gesamtbedarf 72 781 DM. Die Tochter erhielt 1997 folgende Mittel in Form von Sozialleistungen: Heimunterbringung 63 036 DM + Rente (einschließlich Taschengeld) 9 642 DM + Pflegegeld 1 074 DM + Fahrtkostenersatz 883 DM = zusammen 74 635 DM. Die Tochter verfügte demnach über mehr Mittel, als sie für ihren existenziellen Lebensunterhalt benötigte. Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob von den Kosten für die Heimunterbringung noch solche für die Unterkunft abzuziehen sind.
Link zur Entscheidung
BFH vom 15.10.1999 - VI R 182/98