Leitsatz
- Einen verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch hinsichtlich der Besteuerung eines Konkurrenten hat ein Steuerpflichtiger unbeschadet des Steuergeheimnisses dann, wenn er substantiiert und glaubhaft darlegt, durch eine aufgrund von Tatsachen zu vermutende oder zumindest nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auszuschließende unzutreffende Besteuerung eines Konkurrenten konkret feststellbare, durch Tatsachen belegte Wettbewerbsnachteile zu erleiden und gegen die Steuerbehörde mit Aussicht auf Erfolg ein subjektives öffentliches Recht auf steuerlichen Drittschutz geltend machen zu können.
- Die Auskunft darf erteilt werden, wenn die Konkurrentenklage nicht offensichtlich unzulässig wäre; die Auskunftserteilung setzt nicht die Feststellung voraus, dass dem Auskunftsantragsteller die von ihm behaupteten Rechte, die er auf der Grundlage der ihm erteilten Auskunft verfolgen möchte, tatsächlich zustehen.
- Der in Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. EG-Richtlinie 77/ 388/EWG enthaltene Grundsatz der steuerlichen Neutralität kann von einem Steuerpflichtigen im Wege der Konkurrentenklage geltend gemacht werden, wenn Einrichtungen des öffentlichen Rechts für die Tätigkeiten oder Leistungen, die sie im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausüben oder erbringen, als Nichtsteuerpflichtige behandelt werden und dies zu größeren Wettbewerbsverzerrungen führt (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 8.6.2006, Rs. C-430/04, HFR 2006, S. 830).
- Es kommt ernstlich in Betracht, § 2 Abs. 3 UStG drittschützende Wirkung beizulegen.
Sachverhalt
Der Verein V betreibt ebenso wie eine nicht weit entfernt liegende Gemeinde ein Krematorium. Er ist der Auffassung, dass zahlreiche Bestattungsunternehmer zum Krematorium der Gemeinde abgewandert sind, weil ihn die Gemeinde mit ihren Gebühren für die Einäscherung unterbietet. Dafür macht V verantwortlich, dass die Umsätze des Krematoriums der Gemeinde nicht zur Umsatzsteuer herangezogen werden. Zur Vorbereitung einer Konkurrentenklage verlangt er vom Finanzamt Auskunft darüber, wann der letzte noch anfechtbare Umsatzsteuerbescheid gegen die Gemeinde ergangen ist und ob darin die Umsätze des Krematoriums erfasst sind. Das Finanzamt lehnte diese Auskunft ab, weil ihr das Steuergeheimnis entgegenstehe.
Entscheidung
Das Steuergeheimnis steht der Auskunftserteilung nicht entgegen. Es kommt nicht darauf an, ob eine Konkurrentenklage wirklich zulässig ist, sondern nur darauf, ob sie ernstlich in Betracht kommt. Dies ist der Fall. Die Zulässigkeit einer Konkurrentenklage könnte sich aus der 6. EG-Richtlinie ergeben, nach deren Art. 4 Abs. 5 öffentliche Einrichtungen, auch wenn sie öffentliche Gewalt ausüben, zur Umsatzsteuer herangezogen werden müssen, wenn es sonst gegenüber privaten Anbietern zu erheblichen Wettbewerbsverzerrungen kommen würde. Die Zulässigkeit einer Konkurrentenklage könnte sich aber auch schlicht aus § 2 Abs. 3 UStG ergeben, weil dieser Vorschrift von namhaften Stimmen im Schrifttum prozessuale Drittwirkung beigemessen wird.
Praxishinweis
Vom Steuergeheimnis geschützte Daten dürfen Dritten offenbart werden, wenn dies der Durchführung eines Verfahrens in Steuersachen dient. Will ein Dritter wegen der Besteuerung eines anderen ein Verfahren – einen Drittwiderspruch oder eine Konkurrentenklage – anstrengen, hindert das Steuergeheimnis es also nicht, ihm Daten des Steuerpflichtigen zu offenbaren. Das kann auch schon vor der Einlegung eines solchen Rechtsbehelfs in einem vorgeschalteten Auskunftsverfahren geschehen, wenn der Dritte die Auskunft benötigt, um das Rechtsbehelfsverfahren einzuleiten, oder wenn er seine Erfolgsaussichten in einem solchen Verfahren vorab prüfen möchte, was ihm zugestanden werden muss.
Der Auskunftsanspruch setzt nur voraus, dass die offenbarten Daten der Durchführung eines Verfahrens in Steuersachen "dienen", die Einleitung eines solchen Verfahrens durch den Dritten also nicht offensichtlich unzulässig ist. Ob Rechte des Dritten tatsächlich verletzt sind oder ob sie überhaupt in einer die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs begründenden Weise verletzt sein können, ist erst in dem Rechtsbehelfsverfahren zu prüfen und zu entscheiden!
Der BFH hatte im Besprechungsfall eine Vorabentscheidung des EuGH eingeholt, die die Zulässigkeit einer Konkurrentenklage unter den Umständen, die das FG hier festgestellt hatte, jedoch nicht abschließend geklärt hat.
Gemeindliche Krematorien sieht die Finanzverwaltung zwischenzeitlich als Gewerbebetriebe an und unterwirft sie dementsprechend der Umsatzsteuer.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 5.10.2006, VII R 24/03