Leitsatz
Wird der Vorsteuerabzug von einem Leistungsempfänger aus Lieferungen in sog. "Karussellen" geltend gemacht, in denen Waren nach einem Gesamtplan eine Lieferkette durchlaufen und gegebenenfalls an den vorbezeichneten Lieferungsempfänger zurück"geliefert" werden, ist zweifelhaft, ob diese Warenbewegungen innerhalb des Kreises der Umsatzbesteuerung unterliegen.
Sachverhalt
Das Finanzamt ließ Vorsteuerbeträge einer GmbH, die mit Computerteilen handelte, nicht zum Abzug zu, weil sie nach Feststellungen der Steuerfahndung an einem betrügerischen europaweiten Umsatzsteuerkarussell beteiligt war. Sie nahm innerhalb des Karussells die Stellung eines sog. Buffers II ein. Ihre Waren bezog sie nahezu ausschließlich von einem BufferI (H-GmbH) und verkaufte sie an weitere an dem Karussell beteiligte Unternehmen, insbesondere an die B-AG als sog. Distributor. Hierbei kam es auch zu Doppel- und Mehrfachdurchläufen derselben Ware.
Das Finanzamt ging davon aus, ein Angestellter der GmbH, dessen Verhalten ihr zuzurechnen sei, habe von der Durchführung des Karussells gewusst. Daher habe die GmbH die Waren nicht für ihr Unternehmen bezogen und keine unternehmerische Tätigkeit ausgeübt. Bei "Lieferungen" im Karussellgeschäft werde keine Verfügungsmacht verschafft. Die Vollziehung der angefochtenen Bescheide wurde gegen Sicherheitsleistung in Höhe des bereits gepfändeten Betrags von 879422EUR ausgesetzt. Das FG gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung statt, weil mit großer Wahrscheinlichkeit ein für den Steuerpflichtigen günstiger Prozessausgang zu erwarten sei. Das Finanzamt legte Beschwerde ein.
Entscheidung
Der BFH gab der Beschwerde statt. Er verneinte die Voraussetzungen, unter denen von einer Sicherheitsleistung abgesehen werden kann. Die GmbH verfügte über keine nennenswerten Vermögenswerte, ihre Kreditlinie war ausgeschöpft und die aktive Geschäftstätigkeit seit März 2003 weitgehend eingestellt. Es war nicht damit zu rechnen ist, dass sie die Steuerschuld nach einer endgültigen gerichtlichen Feststellung tatsächlich abführen könne.
Auch war weder mit Gewissheit noch mit großer Wahrscheinlichkeit ein günstiger Prozessausgang für die GmbH in der Hauptsache zu erwarten. Dazu verwies der BFH auf die dem EuGH vorliegenden englischen Vorabentscheidungsersuchen Rs. C-354/03 und Rs. C-355/03 zum Recht eines Händlers auf den Vorsteuerabzug im Karussell.
Praxishinweis
Mit den Entscheidungen des EuGH zu Karussellgeschäften dürfte noch in 2005 zu rechnen sein.
Im Regelfall haben Karusselle folgende Funktionsweise: Waren werden aus einem anderen Mitgliedstaat an einen Erwerber im Inland steuerfrei verkauft. Der Erwerber (sog. Missing Trader) veräußert die Ware mit einem geringen Aufschlag an einen Abnehmer (sog. BufferI), der den in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesenen Steuerbetrag als Vorsteuer abzieht. Der Missing Trader zahlt – wie von vornherein beabsichtigt – keine Umsatzsteuer und ist deswegen auch nicht mehr zu belangen. Der Buffer I veräußert die Ware an einen Buffer II mit einem Gewinnaufschlag, der mit dem zuvor berechneten Aufschlag allerdings die Höhe der vom Missing Trader hinterzogenen Steuer nicht überschreitet. Die Waren werden schließlich nach dem Vorsteuerabzug durch den BufferII an einen Exporteur (sog. Distributor) verkauft, der sie wieder steuerfrei in den Ausgangsmitgliedstaat veräußert und die ihm berechnete Umsatzsteuer als Vorsteuer abzieht. Der hieraus resultierende, auf das Mehrwertsteuersystem zurückzuführende Steuerbetrug hat mittlerweile mafiöse Strukturen angenommen.
Link zur Entscheidung
BFH-Beschluss vom 29.11.2004, V B 78/04