Leitsatz (amtlich)
Eine Rechnung, in der zwar der Bruttopreis, der Steuersatz und der Umsatzsteuerbetrag, nicht aber das Entgelt ausgewiesen sind, berechtigt grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug.
Sachverhalt
Die Klägerin, eine GmbH, ist auf dem Gebiet der ambulanten Seniorenpflege tätig. Sie ließ ihre Pflegeleistungen vor Ort von Pflegekräften ausführen, mit denen sie "freie Mitarbeiterverträge" abgeschlossen hatte. In den Streitjahren (1988 und 1989) waren für die Klägerin ca. 400 Pflegekräfte auf der Grundlage eines Standardvertrages tätig. Die Pflegekräfte rechneten entsprechend § 5 des Vertrages auf der Basis fester (Brutto-)Stundensätze monatlich gegenüber der Klägerin ab. Die Rechnungen sind standardisiert, wurden von der Klägerin vorbereitet und anschließend von den Pflegekräften unterschrieben. In den Rechnungen waren der Gesamtrechnungsbetrag (brutto), der USt-Satz (14 %) sowie der Steuerbetrag, nicht aber das Entgelt angegeben. Die Klägerin machte die in den Rechnungen gesondert ausgewiesene Mehrwertsteuer als Vorsteuerbeträge geltend. Das Finanzamt versagte den Abzug. Klage und Revision der Klägerin blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe
Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 kann der Unternehmer (Leistungsempfänger) die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbetrag abziehen. Rechnung ist jede Urkunde, mit der ein Unternehmer oder in seinem Auftrag ein Dritter über eine Lieferung oder sonstige Leistung gegenüber dem Leistungsempfänger abrechnet. § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG knüpft mit den Worten "Rechnungen i.S. des § 14" an die Regelung der Rechnung in § 14 Abs. 4 UStG, nicht an diejenige in § 14 Abs. 1 UStG, an. Deshalb braucht eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung nicht sämtliche der in § 14 Abs. 1 UStG aufgeführten Merkmale aufzuweisen. Allerdings muss eine Rechnung i.S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG i.V.m. § 14 Abs. 4 UStG jedenfalls das umsatzsteuerrechtliche Entgelt als Grundlage für den gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag enthalten. Die Angabe des Entgelts ist notwendig, um entsprechend der Rechnungsfunktion die verschiedenen Kostenelemente des Preises der Gegenstände und sonstigen Leistungen und damit die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG zu belegen.
Dass der Vorsteuerabzug mithin nur aus einer Rechnung vorgenommen werden kann, in der das Entgelt ausgewiesen ist, folgt insbesondere aus den einschlägigen Regelungen der Richtlinie 77/388/EWG. Diese gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sind im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Rechts zu berücksichtigen.
Die Klägerin kann sich deshalb nicht mit Erfolg auf Abschn. 202 Abs. 4 Satz 2 UStR 1988/2000 berufen. Danach kann der Vorsteuerabzug auch vorgenommen werden, wenn der Rechnungsaussteller in der Rechnung Entgelt und Steuerbetrag in einer Summe (Bruttobetrag) angegeben und zusätzlich den Steuerbetrag vermerkt hat. Im Übrigen handelt es sich bei Abschn. 202 Abs. 4 Satz 2 UStR 1988/2000 nicht um eine Rechtsnorm, sondern um eine Verwaltungsvorschrift, mit deren Hilfe nur eine gleichmäßige Gesetzesanwendung durch die Verwaltungsbehörden erreicht, nicht aber eine Bindung i.S. einer Rechtsverordnung erzielt werden kann und soll. Im Streitfall ist dieser Gesetzesauslegung nicht zu folgen, weil sie insbesondere gegen Art. 22 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG verstößt.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann einer solchen Verwaltungsanweisung grundsätzlich auch unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben nicht die gleiche Wirkung beigemessen werden wie einer Rechtsnorm oder einer verbindlichen Zusage für den Einzelfall. Die Verwaltungsbehörden werden allerdings prüfen müssen, ob - unabhängig von der Möglichkeit einer Rechnungsberichtigung - aus Billigkeitsgründen eine Übergangsregelung erforderlich ist. Im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen geht, ist für eine derartige Billigkeitsüberlegung freilich kein Raum; sie müssten einem gesonderten Billigkeitsverfahren vorbehalten bleiben.
Link zur Entscheidung
BFH vom 27.7.2000 –V R 55/99