Leitsatz

Werden einem Arbeitnehmer in einer Vereinbarung über die vom Arbeitgeber veranlasste Auflösung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung und monatliche Übergangsgelder zugesagt und nimmt er in einer späteren Vereinbarung das Angebot des Arbeitgebers an, ihm insgesamt einen Einmalbetrag zu zahlen, so steht das ihm insoweit eingeräumte Wahlrecht auf Kapitalisierung einer begünstigten Besteuerung des Einmalbetrags nach § 34 Abs. 1 und 2 EStG nicht entgegen.

 

Sachverhalt

Nachdem das Finanzamt den Kläger zunächst erklärungsgemäß veranlagt hatte, forderte es ihn fast 10 Monate später auf, verschiedene Unterlagen zur Überprüfung der ermäßigten Besteuerung seiner Abfindung einzureichen. Aus den darauf beigebrachten Unterlagen ging hervor, dass der Kläger am 26.1.1994 mit seinem Arbeitgeber "zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung" eine Vereinbarung über die Auflösung seines Arbeitsverhältnisses geschlossen hatte. Er sollte zum 31.8.1994 (mit 53 Jahren und nach 33-jähriger Tätigkeit) in den vorzeitigen Ruhestand treten und dafür von September 1994 bis August 2004 monatliche "Übergangsgelder", ab November 1995 zusätzlich eine monatliche Betriebsrente sowie eine Einmalzahlung beziehen. Am 12.8.1994 hatte der Arbeitgeber dem Kläger angeboten, "an Stelle der bisherigen Auszahlungsweise" alle vereinbarten Leistungen als Einmalbetrag zum Zeitpunkt seines Ausscheidens zu zahlen. Der Kläger hatte sich einverstanden erklärt und eine Abfindung von insgesamt 557224 DM erhalten.

Das Finanzamt änderte darauf den ESt-Bescheid 1994 gemäß § 173 Abs. 1 AO wegen neuer Tatsachen und versagte für den Betrag von 527224 DM die ermäßigte Besteuerung. Das FG wies die Klage als überwiegend unbegründet ab. Soweit dem Kläger ein Wahlrecht zur Kapitalisierung der monatlichen Zahlungen eingeräumt worden sei (412136 DM), sei die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG mangels Drucksituation zu versagen. Insoweit könne nur die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt werden.

 

Entscheidung

Der BFH hob das Urteil des FG auf und gab der Klage statt. Er gewährte den halben durchschnittlichen Steuersatz auf den gesamten Betrag von 527224 DM (557224 DM abzüglich 30000 DM nach § 3 Nr. 9 EStG).

Der BFH weist zunächst auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Entschädigung hin. Danach gehören zur Entschädigung für entgehende Einnahmen sämtliche Leistungen, zu denen sich der (frühere) Arbeitgeber im Aufhebungsvertrag verpflichtet hat, soweit sie nicht Teil der Erfüllung des bisherigen Arbeitsvertrags sind. Im Streitfall waren deshalb – wovon auch das FG ausgegangen ist – die vereinbarten Übergangsgelder und freiwilligen Rentenzahlungen "begrifflich" Entschädigungsleistungen.

Bei der Vereinbarung dieser Entschädigungsteile hat der Kläger auch unter erheblichem Druck gehandelt. Entscheidend für die Steuerbegünstigung ist nämlich, dass sich der Steuerpflichtige bei der Aufgabe seiner Rechte in einer Drucksituation befunden hat; er darf das schadenstiftende Ereignis nicht aus eigenem Antrieb herbeigeführt haben. Schadenstiftendes Ereignis war hier die Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Diese ist auf Veranlassung des Arbeitgebers zustande gekommen, was für die Annahme erheblichen tatsächlichen Drucks ausreicht.

Die zweite Vereinbarung, in der nur die Auszahlungsmodalitäten der Entschädigung geändert wurden, hatte auf das schadenstiftende Ereignis keinen Einfluss. Dass der Kläger beim Abschluss dieser Vereinbarung nicht mehr unter Druck gehandelt hat, ist deshalb unerheblich. Auch dass ihm ein Wahlrecht zur Kapitalisierung sämtlicher vereinbarter Entschädigungsleistungen eingeräumt worden ist, ist unschädlich für die Steuerbegünstigung seiner Entschädigung. Ein Wahlrecht auf Kapitalisierung hat der BFH nur dann für schädlich angesehen, wenn es erst durch die Ausübung eines solchen Wahlrechts zur Aufgabe von Rechten aus Pensionsansprüchen und zur Vereinbarung einer dafür zu zahlenden Abfindung gekommen war[1]. In diesen Fällen war aber – anders als hier – das schadenstiftende Ereignis (die Aufgabe der Pensionsansprüche) bereits aus eigenem Antrieb herbeigeführt worden.

 

Praxishinweis

  1. Entscheidend war im vorliegenden Fall, dass mit dem späteren Angebot auf Kapitalisierung der Übergangsgelder durch den Arbeitgeber und dessen Annahme durch den Kläger keine "neue" Entschädigung vereinbart (so aber das FG), sondern lediglich die Zahlungsweise der bereits vereinbarten Entschädigung modifiziert worden ist. Wäre die Entschädigung so gezahlt worden, wie zunächst vereinbart, also in monatlichen Raten über mehrere Jahre, hätte dem Kläger keine Steuerbegünstigung zugestanden. Erst durch den geballten Zufluss aufgrund der Kapitalisierung sind die Voraussetzungen dafür geschaffen worden.
  2. Da das Finanzamt bereits wegen der materiellen Rechtslage den angefochtenen Änderungsbescheid nicht hätte ändern dürfen, kam es nicht mehr darauf an, ob die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen des § 173 AO vorgelegen haben oder nicht.
  3. Der Kläge...

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