Leitsatz

Hypothetische Betrachtungen über eine mögliche Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter sind bei der Entscheidung, ob ein Verfügungsberechtigter nach § 69 AO als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden kann, nicht zu berücksichtigen, wenn das Insolvenzverfahren über das Firmenvermögen mangels Masse nicht eröffnet worden ist.

 

Sachverhalt

Der Steuerpflichtige war Prokurist einer wegen Vermögenslosigkeit gelöschten GmbH. Für rückständige Umsatzsteuer wurde er vom Finanzamt als Haftungsschuldner in Anspruch genommen, weil er in der Vergangenheit die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH erledigt habe und infolgedessen als Verfügungsberechtigter aufgetreten sei. Rechtsmittel gegen den Haftungsbescheid waren erfolglos.

Grundsätzlich kommt als Verfügungsberechtigter (§ 35 AO) und damit als Haftungsschuldner (§ 69 AO) auch der für eine GmbH tätige Prokurist in Betracht. Die Haftung resultiert aber nicht alleine aus dieser Position. Die haftungsauslösende Pflichtenstellung wird vielmehr wesentlich durch den gesellschaftsintern zugeteilten Aufgabenbereich bestimmt. Dieser kann bei einem Prokuristen auch die Erfüllung steuerlicher Pflichten umfassen. Sind dem Prokuristen steuerliche Befugnisse, wie die Abgabe von Steueranmeldungen und die fristgerechte Entrichtung der Steuern übertragen worden, haftet er für eine zumindest grob fahrlässige Verletzung dieser Obliegenheiten.

Im Urteilsfall hatte der Steuerpflichtige für die GmbH Anträge beim Finanzamt gestellt. Ihm war umfassende Bankvollmacht erteilt worden, wobei er faktisch den gesamten Zahlungsverkehr der GmbH abwickelte. Nach Meinung des BFH ist daher anzunehmen, dass zu seinem Aufgabenbereich auch die fristgerechte und vollständige Überweisung von Steuerbeträgen gehörte. Dass die Leistung solcher Zahlungen dem Steuerberater oder anderen Personen, z. B. dem Geschäftführer, vorbehalten war, war nicht festzustellen.

Die so begründete Haftung entfällt nicht deshalb, weil unter hypothetischer Annahme der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und einer ebenso hypothetisch möglichen Anfechtung etwaiger Steuerzahlungen durch den Insolvenzverwalter (§§ 130ff. InsO) die an das Finanzamt geleisteten Zahlungen hätten zurückgewährt werden müssen. Denn es ist tatsächlich nicht zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens gekommen. Anfechtungsmöglichkeiten wurden demgemäß überhaupt nicht eröffnet. Die Frage nach der Berücksichtigung hypothetischer Kausalverläufe könnte sich nur stellen, wenn eine gedachte Insolvenzanfechtung hätte Erfolg haben können. Die insolvenzrechtlichen Voraussetzungen für eine Anfechtung müssen also erfüllt sein (vgl. ausführlich BFH, Urteil v. 28.2.2007, VII R 67/05, noch n. v.). Weist das Insolvenzgericht den Antrag auf Eröffnung des Verfahrens mangels Masse ab, steht damit fest, dass es zur Ausübung etwaiger Anfechtungsrechte überhaupt nicht kommen kann. Die Grundlage für hypothetische Betrachtungen über eine mögliche Rückgewähr von Steuerzahlungen ist damit entfallen.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Beschluss v. 23.4.2007, VII B 92/06.

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