Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Der Vorsitzende (Berichterstatter), der gemäß § 79a Abs. 3, 4 FGO im Einverständnis der Beteiligten anstelle des Senats entscheiden kann, hat sich durch sein Tätigwerden im Verfahren vor einer erstmaligen mündlichen Verhandlung auch dann noch nicht zum sog. konsentierten Einzelrichter hinsichtlich der abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits bestellt, wenn er bei einzelnen Verfahrenshandlungen bereits als solcher aufgetreten ist.
Sachverhalt
Der Fall betrifft einen Kompetenzkonflikt zwischen Senat und Einzelrichter: Der Kläger und das Finanzamt erklärten sich in einem Erörterungstermin mit einer Entscheidung nach § 79a Abs. 3, 4 FGO durch den Berichterstatter anstelle des Senats einverstanden. In einem auf § 79a Abs. 3 FGO gestützten Beweisbeschluss setzte der Berichterstatter einen Beweistermin im Hause des Klägers an, den er als "konsentierter Einzelrichter" durchführte. In der Folgezeit lud der Berichterstatter zur mündlichen Verhandlung, hob den Termin aber auf Antrag des Finanzamts wieder auf; dieses war als Ergebnis des Erörterungstermins zu der Auffassung gelangt, das Haus des Klägers sei ein Einfamilienhaus und führte eine entsprechende Artfeststellung durch. Hiergegen wandte sich der Kläger und stimmte der Anregung des Finanzamts zu, den Rechtsstreit nicht durch den Einzelrichter entscheiden zu lassen. Der Berichterstatter wollte diesen Bedenken Rechnung tragen. Indes entschied der Senat des FG mittels Beschluss, der Berichterstatter bleibe weiterhin für eine Entscheidung der Streitsache zuständig. Hiergegen erhob der Kläger Beschwerde.
Entscheidung
Der BFH löst den Kompetenzkonflikt zugunsten einer Entscheidung des voll besetzten Senats. Zumindest im Verfahrensstadium vor der erstmaligen Durchführung einer mündlichen Verhandlung hat sich der Berichterstatter durch sein bisheriges Tätigwerden im Verfahren noch nicht gebunden, auch die Endentscheidung als konsentierter Einzelrichter herbeizuführen. § 79a FGO verpflichtet den Vorsitzenden oder den Berichterstatter in großem Umfang zu Tätigkeiten, die die Senatsentscheidung vorbereiten sollen. § 79a Abs. 1 FGO nennt abschließend Fälle, in denen der Vorsitzende oder Berichterstatter im vorbereitenden Verfahren allein Entscheidungen zu treffen hat. Darüber hinaus räumt ihm § 79a Abs. 3, 4 FGO – ohne ihn zu verpflichten – die Möglichkeit ein, andere Entscheidungen allein zu treffen, dies aber anstelle des Senats. Schon im Wortlaut der Regelung kommt somit der Vorrang einer Entscheidung des Kollegialgerichts zum Ausdruck, dem eine höhere Richtigkeitsgewähr beizumessen ist. Dadurch unterscheidet sich der konsentierte Berichterstatter vom Einzelrichter nach § 6 FGO. Der Berichterstatter kann allein entscheiden, muss es aber nicht – er hat ein Wahlrecht. Solange er noch nicht anstelle des Senats entschieden hat, bleibt für die abschließende Entscheidung der Senat der gesetzliche Richter. Damit war der FG-Beschluss aufzuheben.
Praxishinweis
Der Beschluss stärkt die Rechte der Beteiligten. Denn die Auslegung des § 79a FGO durch den BFH gewährleistet, dass prinzipiell der voll besetzte Senat zuständig bleibt. Ändert sich also die Prozesslage, können die Beteiligten, die zunächst mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden war, anregen, dass dieser den Rechtsstreit wieder auf den Senat überträgt. Es kommt dann nicht auf das prozessuale Problem an, ob und wann eine Einverständniserklärung durch die Beteiligten widerrufbar ist oder nicht. Der Berichterstatter hat zwar Ermessen. Beantragen aber beide Beteiligte, dass der Senat entscheiden soll, so wird er sich dieser Anregung wohl nicht verschließen können. Denn er muss bei seiner Ermessensentscheidung, ob er den Rechtsstreit selbst entscheiden soll oder nicht, immer berücksichtigen, dass die FG im Grundsatz als Kollegialgerichte ausgestaltet und Einzelrichterentscheidungen die Ausnahme sind. Das ist besonders vor dem Hintergrund der zweistufigen Finanzgerichtsbarkeit ein wichtiger Aspekt. Allein das FG ist nämlich Tatsacheninstanz.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 09.07.2003, IX B 34/03