Leitsatz
- Die für die Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung erforderliche Funktionsgleichheit des Ersatzwirtschaftsguts ist grundsätzlich nur erfüllt, wenn das neue Wirtschaftsgut in demselben Betrieb hergestellt oder angeschafft wird, dem das entzogene Wirtschaftsgut diente.
- Ausnahmsweise ist die Übertragung stiller Reserven auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen nach den Grundsätzen der Ersatzbeschaffungsrücklage zulässig, wenn die Zwangslage durch Enteignung oder höhere Gewalt zugleich den Fortbestand des bisherigen Betriebs selbst gefährdet oder beeinträchtigt hat.
Sachverhalt
Ein Landwirt erwarb einen Hof und überließ ihn seinem Sohn zur Nutzung. Weil das Finanzamt den Pachtvertrag nicht anerkannte, sondern einen Wirtschaftsüberlassungsvertrag annahm und infolgedessen nach damaliger Rechtsauffassung die Wirtschaftsgüter beim Nutzungsberechtigten zu bilanzieren waren, verzichtete der Landwirt darauf, einen Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft zu ermitteln. Nachdem ein Brand im Jahre 1992 einen großen Teil der Wirtschaftsgebäude vernichtet und das zum Hof gehörende Wohnhaus beschädigt hatte, erhielt der Kläger im Jahr 1993 Versicherungsentschädigungen. Damit ließ er das Wohngebäude wiederherstellen, sah aber vom Wiederaufbau der Wirtschaftsgebäude ab. Aufgrund einer Betriebsprüfung ging das Finanzamt davon aus, dass der Grund und Boden sowie die Gebäude dem Landwirt zuzurechnen waren. Darauf beantragte dieser, die durch den Schadensfall aufgedeckten stillen Reserven der Wirtschaftsgebäude in eine Rücklage für Ersatzbeschaffung i.S. von R 35 EStR einzustellen und diese auf Ersatzwirtschaftsgüter eines später erworbenen, 350 km entfernt liegenden landwirtschaftlichen Betriebs zu übertragen. Das Finanzamt lehnte dies ab; Einspruch und Klage gegen die Gewinnfeststellungsbescheide hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
- Nach den Grundsätzen zur Übertragung stiller Reserven bei Ersatzbeschaffung kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise dann vermieden werden, wenn ein Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird. Kann das zerstörte oder entzogene Wirtschaftsgut nicht im Wirtschaftsjahr seines Ausscheidens aus dem Betriebsvermögen ersetzt werden, so können die stillen Reserven in eine Rücklage für Ersatzbeschaffung eingestellt und im Folge- oder einem späteren Jahr auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Ersatzwirtschaftsguts übertragen werden. Dafür muss allerdings die – im Streitfall hinsichtlich des Wirtschaftsgebäudes fehlende – Absicht der Ersatzbeschaffung bestehen; sonst bleibt es bei der Rechtsfolge der Gewinnrealisierung.
- Die Bildung einer Ersatzbeschaffungsrücklage war auch nicht im Hinblick auf die Anschaffung des 350 km entfernt liegenden Hofs zulässig. Dessen Wirtschaftsgebäude sind keine Ersatzwirtschaftsgüter für die zerstörten Wirtschaftsgebäude des alten Hofs, weil sie nicht funktionsgleich sind. Denn sie dienen nicht dem Verpachtungsbetrieb, dem die Wirtschaftsgebäude durch Brand entzogen wurden. Das Erfordernis der Funktionsgleichheit der Ersatzwirtschaftsgüter bedingt, dass die neuen Wirtschaftsgüter im selben Betrieb hergestellt oder angeschafft werden. Die Übertragung stiller Reserven auf Wirtschaftsgüter eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen kann daher allenfalls zulässig sein, wenn die Zwangslage durch Enteignung oder höhere Gewalt zugleich den Fortbestand des bisherigen Betriebs selbst – anders als im Streitfall – gefährdet oder beeinträchtigt hat.
Praxishinweis
Eine Zwangslage, die ausnahmsweise die Ersatzbeschaffungsrücklage zugunsten eines anderen Betriebs des Steuerpflichtigen zulässt, wurde für einen Fall bejaht, dass nach Enteignung eines Grundstücks die Eröffnung einer neuen Gaststätte auf einem Ersatzgrundstück behördlich untersagt worden war und deshalb dort ein Betrieb mit verändertem Zweck eröffnet werden musste.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 22.1.2004, IV R 65/02