Leitsatz
- Ein durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Haftungsschuldners unterbrochener Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides kann sowohl vom Insolvenzverwalter als auch vom Finanzamt aufgenommen werden.
- Macht das Finanzamt den noch unerfüllten Haftungsanspruch als Insolvenzforderung geltend, handelt es sich um einen Passivprozess, dessen Aufnahme dem Schuldner verwehrt ist.
- Wenn der nicht beteiligtenfähige Schuldner den durch die Insolvenzeröffnung unterbrochenen Rechtsstreit selbst aufnimmt, ist er aus dem Prozess zu weisen. Seine Prozesshandlungen sind unwirksam.
- Der Erlass eines Feststellungsbescheides nach § 251 Abs. 3 AO kommt nicht mehr in Betracht, wenn das Finanzamt seine Forderung gegenüber dem Schuldner bereits mit einem Haftungsbescheid geltend gemacht hat.
- Eine Beiladung des im erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligten Insolvenzverwalters kommt im Revisionsverfahren nicht in Betracht.
Sachverhalt
Der vom Finanzamt auf Haftung in Anspruch genommene Geschäftsführer einer GmbH geriet während des Rechtsstreits gegen den Haftungsbescheid in Insolvenz. Im Prüfungstermin des Insolvenzverfahrens widersprach der Insolvenzverwalter der zur Tabelle angemeldeten Forderung des Finanzamts. Auch der Geschäftsführer widersprach und erklärte gegenüber dem FG, dass er den Rechtsstreit aufnehme. Hingegen erklärte der Insolvenzverwalter auf Anfrage des FG, den Rechtsstreit nicht aufnehmen zu wollen. Daraufhin beantragte das Finanzamt, das Klageverfahren einzustellen oder als Feststellungsverfahren fortzusetzen. Das FG wies die Klage als unbegründet ab. Der Geschäftsführer legte gegen dieses Urteil Revision ein; das Finanzamt beantragte, den Insolvenzverwalter zu dem Verfahren beizuladen.
Entscheidung
Der BFH hat das Urteil des FG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die vom Revisionskläger gegenüber dem FG abgegebene Aufnahmeerklärung war unwirksam. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Schuldners auf den Insolvenzverwalter über, der bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens den Schuldner aus seiner Rechtsstellung und damit von seiner Prozessführungsbefugnis verdrängt. Hingegen konnte das Finanzamt den Rechtsstreit aufnehmen, da es eine Insolvenzforderung geltend machte und Befriedigung aus der Masse begehrte. Das Urteil des FG ist also unter Verstoß gegen § 57 Nr. 1 FGO zustande gekommen, was als Verletzung materiellen Rechts vom BFH ohne diesbezügliche Verfahrensrüge zu berücksichtigen ist. Der Mangel der Beteiligung des Insolvenzverwalters kann nicht durch dessen Beiladung geheilt werden, weil er mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Beteiligter des Rechtsstreits geworden ist und sich diese Stellung und die Stellung als Beigeladener ausschließen.
Praxishinweis
Anfechtungsverfahren gegen Steuer- oder Haftungsbescheide sind im Insolvenzfall i.d.R. als Passivprozesse zu betrachten; ein Aktivprozess läge nur vor, wenn etwas zur Masse beansprucht würde, die Steuer- oder Haftungsschuld also bereits beglichen und die Klage folglich darauf gerichtet wäre, dies zurückzuerhalten. Nur in diesem Fall liegen die Voraussetzungen des § 85 Abs. 1 InsO vor, wonach zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens für den Schuldner anhängige Rechtsstreitigkeiten über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen vom Insolvenzverwalter aufgenommen werden können. Lehnt dieser in einem solchen Fall die Aufnahme des Rechtsstreits ab, kann der Schuldner den Rechtsstreit selbst aufnehmen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 7.3.2006, VII R 11/05