Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
- Steuerpflichtige mit einer entsprechenden Behinderung können für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anstelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen in Abzug bringen (§ 9 Abs. 2 S. 3 EStG).
- Behinderte haben jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 3 EStG nur die Wahl, die Wegekosten entweder einheitlich nach den Entfernungspauschalen oder einheitlich nach den tatsächlichen Aufwendungen zu bemessen. Eine Kombination von Entfernungspauschale und tatsächlichen Aufwendungen bei der Bemessung der Wegekosten ist mit § 9 Abs. 2 S. 3 EStG nicht vereinbar.
Sachverhalt
Die einen Grad der Behinderung von 90 % aufweisende Arbeitnehmerin A machte für 2003 Kosten für 195 Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte in B geltend. Sie fuhr mit dem Pkw von der Wohnung 17 km bis zum Bahnhof und von dort 82 km nach B mit der Bahn. Die Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel erklärte sie mit 1682 EUR. Das Finanzamt berücksichtigte für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte mittels Entfernungspauschale Werbungskosten von 6360 EUR (1248 EUR Wegekosten Pkw + 5112 EUR Wegekosten ÖPNV).
Dagegen begehrte A, ihre Fahrten mit dem Pkw nicht mit der Entfernungspauschale, sondern mit den tatsächlichen Kosten zu berücksichtigen. Ihre Klage war erfolglos.
Entscheidung
Aufwendungen für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind Werbungskosten, abgegoltenen mit den Entfernungspauschalen. Ab einem Grad der Behinderung von 70 % können an Stelle der Entfernungspauschalen die tatsächlichen Aufwendungen abgezogen werden, berechnet entweder nach einem nachgewiesenen individuellen oder dem pauschalierten Kilometersatz. Einer Kombination von pauschalen und individuellen Kosten steht der Wortlaut des § 9 Abs. 2 S. 3 EStG entgegen. Der BFH stützt sich dazu auf das Tatbestandsmerkmal "an Stelle"in § 9 Abs. 2 S. 3 EStG und auf die Verwendung des Plurals "Entfernungspauschalen"in § 9 Abs. 2 S. 3 EStG. Für eine weitere Begünstigung besteht kein Anlass. Behinderte sollen zwar die tatsächlichen Aufwendungen geltend machen können, weil sie nur eingeschränkt öffentliche Verkehrsmittel benutzen können, so dass die Rechtfertigung der teilweise nicht kostendeckenden Entfernungspauschale für sie nicht greift. Mehr ist aber auch aus umwelt- und verkehrspolitischen Zielen nicht erforderlich, zumal A keine Entlastung für mit der Bahn zurückgelegte Wegestrecken begehrte, sondern Aufwendungen für die Pkw-Nutzung; daswiderspricht umwelt- und verkehrspolitischen Vorstellungen. Auch die Rechtsprechung zur 0,03 %-Zuschlagsregelung rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Denn es ging nicht um eine teilstreckenbezogene Betrachtung, sondern darum, ob A ihr Wahlrecht – Entfernungspauschale oder tatsächliche Kosten – für beide zurückgelegten Teilstrecken differenzierend ausüben kann.
Link zur Entscheidung
BFH, 05.05.2009, VI R 77/06