Leitsatz
Bei richtlinienkonformer Auslegung der Vorschriften des § 18 Abs. 8 UStG 1993, §§ 51ff. UStDV 1993 ist die Vorschrift des § 52 Abs. 2 UStDV 1993 (Nullregelung) anwendbar, soweit der Leistungsempfänger entsprechend den Bestimmungen der Richtlinie 77/388/EWG Steuerschuldner ist und den Vorsteuerabzug geltend machen kann.
Sachverhalt
Ein Bauunternehmer setzte 1995 englische Bauarbeiter ein. Deren Arbeiten wurden ihm unter der Firma "Jaylink Bau Ltd. Building Contractors" in Rechnung gestellt; die Rechnungen wiesen eine englische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer und ein deutsches Bankkonto aus. Umsatzsteuer wurde nicht ausgewiesen, vielmehr enthielten die Rechnungen den Vermerk "Nullregelung Par. 52 UStDV vereinbart". Nach Ermittlungen des Bundesamts für Finanzen handelte es sich um eine "Sitzgesellschaft" ohne Eintragung in den lokalen Telefonverzeichnissen. Das Finanzamt ging davon aus, dass die in Rechnung gestellten Leistungen nicht von der genannten Ltd., sondern von einem dritten, unbekannten Unternehmer ausgeführt wurden, und nahm den Kläger für die Umsatzsteuer dieses Unternehmers gemäß § 55 UStDV 1993 in Haftung. Das FG gab der Klage statt; es hatte keine "vernünftigen Zweifel daran, dass die Identität zwischen Rechnungsaussteller und leistenden Unternehmer gegeben ist".
Entscheidung
Der BFH entnahm der von ihm eingeholten Vorabentscheidung des EuGH, dass der Bauunternehmer die im Streitjahr noch geltende Nullregelung nach § 52 Abs. 2 UStDV in Anspruch nehmen durfte. Er hat die Leistungen von dem im Ausland ansässigen Unternehmer erhalten und keine Rechnung mit Steuerausweis bekommen. Ferner war er hinsichtlich der Leistungen nach § 15 UStG vorsteuerabzugsberechtigt.
Da ein Steuerpflichtiger, der nach Art. 21 Nr. 1 der 6. RL in der im Streitjahr geltenden Fassung als Empfänger einer Dienstleistung die darauf entfallende Mehrwertsteuer schuldet, laut EuGH im Rahmen eines Verfahrens der Steuerschuldverlagerung für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine nach Art. 22 Abs. 3 der 6. RL ausgestellte Rechnung benötigt, kam es auch nicht darauf an, ob die dem Bauunternehmer erteilte Rechnung den Anforderungen der Richtlinienbestimmung genügte. Damit war der Auffassung des Finanzamts der Boden entzogen, die Identität des "tatsächlich" leistenden Unternehmers und des Rechnungsausstellers lasse sich aus der Rechnung nicht nachweisen.
Praxishinweis
Die Entscheidung betrifft zwar noch das Abzugsverfahren nach den §§ 51ff. UStDV, das ab 1.1.2002 durch die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b UStG ersetzt wurde. Auch die damals geltende Rechnungsvorschrift des Art. 22 Abs. 3 der 6. RL wurde inzwischen neu gefasst. Da der EuGH aber auch kurz auf die Neufassung der Rechnungsvoraussetzungen eingegangen ist, hat seine Vorabentscheidung m.E. auch für den jetzt geltenden § 13b UStG Bedeutung. Nach dem neu gefassten § 14a Abs. 5 UStG muss der Unternehmer, der eine Leistung ausführt, für die der Leistungsempfänger die Steuer gem. § 13b UStG schuldet, eine Rechnung (ohne Steuerausweis) ausstellen. Der Leistungsempfänger braucht aber für den Vorsteuerabzug für diesen Leistungsempfang keine Rechnung als Ausübungsvoraussetzung. D.h. der Leistungsempfänger, der ohnehin Steuerschuldner an Stelle des Leistenden ist, darf nicht durch formale Nachweisvoraussetzungen aus einer Rechnung am Vorsteuerabzug gehindert werden. Dies widerspräche dem Gebot der Neutralität der Steuer.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 17.6.2004, V R 61/00