Leitsatz (amtlich)

§ 171 Abs. 14 AO 1977 ist verfassungsgemäß und verstößt weder gegen das Rechtsstaatsprinzip noch gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG.

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Alleinerbe seines 1991 verstorbenen Vaters. Auf Aufforderung des Finanzamts gab er ESt-Erklärungen für seinen Vater u.a. für die Streitjahre 1987 und 1988 ab. Das Finanzamt erließ darauf am 29.7.1994 ESt-Bescheide für 1987 und 1988. Die Bescheide waren an den Erblasser gerichtet, ohne dass der Kläger darin erwähnt war. Der Kläger bezahlte 1994 die festgesetzten Beträge. Er beantragte später ohne Erfolg deren Erstattung. Das Finanzamt räumte ein, dass die ESt-Bescheide nicht wirksam bekannt gegeben worden seien. Es wies aber darauf hin, dass die Festsetzung nachgeholt werden könne, solange der Erstattungsanspruch noch nicht verjährt sei[1]. Es erließ am 12.3.1998 für die Streitjahre ESt-Bescheide, die dem Kläger als Rechtsnachfolger seines Vaters bekannt gegeben wurden, sonst aber mit den ursprünglichen Bescheiden inhaltsgleich waren. Klage[2] und Revision blieben erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Das FG hat rechtsfehlerfrei entschieden und auch der Kläger bestreitet nicht, dass der Tatbestand des § 171 Abs. 14 AO erfüllt ist. Diese Vorschrift ist entgegen der Auffassung des Klägers nicht verfassungswidrig.

Für die in § 171 Abs. 14 AO getroffene Regelung, dass die Festsetzungsfrist für einen Steueranspruch nicht endet, soweit ein damit zusammenhängender Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO noch nicht verjährt ist[3], lassen sich vertretbare sachliche Gründe anführen. In den Gesetzesmaterialien[4] wird ausgeführt, um zu vermeiden, dass der Steuerpflichtige mit der Begründung, der Steuerbescheid sei unwirksam bekannt gegeben worden, eine Erstattung der Steuern verlangen könne, ohne dass das Finanzamt die Steuerfestsetzung durch wirksame Bekanntgabe des Steuerbescheids nachholen könne, sei vorgesehen, den Ablauf der Festsetzungsfrist hinauszuschieben. Dadurch werde sichergestellt, dass innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist notwendige Steuerfestsetzungen nachgeholt werden könnten. Diese Erwägungen liegen innerhalb des Spielraums, der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen für die Regelung des Widerstreits zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit zusteht. Die durch diese Vorschrift bewirkte Bevorzugung einer materiell richtigen Steuerfestsetzung gegenüber dem Vertrauen des Steuerpflichtigen in den Ablauf der regulären Festsetzungsfrist gemäß §§ 169, 170 AO ist nicht unangemessen. Es ist entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht[5] nicht willkürlich, dass der Gesetzgeber als Unterscheidungsmerkmal dafür, ob bei einer unwirksamen Steuerfestsetzung eine Ablaufhemmung eintreten soll, die Zahlung der Steuer gewählt hat. Die Anknüpfung an die Zahlung hat zur Folge, dass das Leistungsverweigerungsrecht anders behandelt wird als der Rückforderungsanspruch. Dies widerspricht aber nicht den Grundsätzen eines fairen Verfahrens. Denn dann, wenn der Steuerpflichtige eine Zahlung vermeiden will, wird er sich gegen die Steuerfestsetzung, deren Unwirksamkeit die Finanzbehörde noch nicht erkannt hat, spätestens aufgrund des Leistungsgebots[6], das i.d.R. mit der Steuerfestsetzung verbunden ist, wehren müssen. Die Finanzbehörde wird dadurch verhältnismäßig zeitnah auf den Bekanntgabefehler aufmerksam und kann ihn korrigieren, so dass der Gesetzgeber für diesen Sachverhalt offensichtlich keinen Regelungsbedarf gesehen hat. Dagegen wäre es dem Steuerpflichtigen ohne die in § 171 Abs. 14 AO getroffene Regelung bei einer unwirksamen Steuerfestsetzung und bei einer stillschweigenden Zahlung bzw. einer bereits erfolgten Vorauszahlung möglich, ungestört durch ein Leistungsgebot und Vollstreckungsmaßnahmen den Ablauf der normalen Festsetzungsfrist abzuwarten, um dann die Erstattung derjenigen Zahlung zu verlangen, deren Höhe im Einklang mit den materiellen Steuergesetzen steht.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 13.3.2001 – VIII R 37/00

[3] Vgl. § 228 AO
[4] Vgl. (BT-Drs. 10/1636, S. 44
[5] Vgl. Koops/Scharfenberg, Das Schicksal geleisteter Einkommensteuer-Vorauszahlungen im Falle der Verjährung der Jahressteuerschuld, DStR 1995, S. 552, 555
[6] Vgl. § 254 AO

Dieser Inhalt ist unter anderem im WohnungsWirtschafts Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?