Leitsatz
Ein Kind, das sich aus einer Erwerbstätigkeit heraus um einen Studienplatz bewirbt, kann ab dem Monat der Bewerbung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStG beim Kindergeldberechtigten zu berücksichtigen sein, wenn es sich bei der Tätigkeit nicht um eine Vollzeiterwerbstätigkeit handelt.
Sachverhalt
Die Familienkasse gewährte dem Vater des 1978 geborenen S wegen des Besuchs einer Fachoberschule bis Juni 2001 und wegen der Zusage eines Studienplatzes an einer Fachhochschule für das Wintersemester 2004 ab Mai 2003 Kindergeld; letzteres hob sie aber ab Oktober 2003 wieder auf. Der für die Zwischenzeit vor 2004 erhobenen Klage gab das FG nur für August 2001, November 2002 bis April 2003 und Oktober bis Dezember 2003 statt. Dabei sah es das FG nicht als schädlich an, dass S aufgrund mehrfach verlängerter befristeter Arbeitsverträge mit ca. 10,5 Wochenstunden geringfügig beschäftigt war, wobei die Einkünfte und Bezüge 5427 DM in 2001, 4451 EUR in 2002 und 4046 EUR in 2003 betrugen. Die wegen der teilweisen Stattgabe von der Familienkasse eingelegte Revision wies der BFH ab.
Entscheidung
Zwischen den Beteiligten war unstreitig, dass die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Nr. 2c EStG vorlagen, da S sich in den genannten Zeiträumen um den – ab Januar 2004 angetretenen – Studienplatz bemüht hatte. Nach der Rechtsprechung kann Kindergeld bei Vollerwerbstätigkeit während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz auch dann nicht gewährt werden, wenn der (anteilige) Jahresgrenzbetrag nicht überschritten wird, weil dann keine typische Unterhaltssituation für die Eltern vorliegt. Anders als bei Erwerbstätigkeit des Kindes während einer bereits laufenden Ausbildung sieht die Verwaltung während des Wartens auf einen Ausbildungsplatz auch eine vom Umfang her geringfügige Beschäftigung als schädlich an. Dem folgt der BFH nicht, da kein Grund besteht, die jeweiligen Begünstigungstatbestände hinsichtlich der Erwerbstätigkeit unterschiedlich zu behandeln. Schädlich ist nur eine Vollerwerbstätigkeit, wobei der BFH offen lässt, ob dieser – wie die Verwaltung meint – eine Beschäftigung gleich zustellen ist, die mehr als drei Viertel der branchenüblichen, tariflichen oder allgemein betriebsintern festgesetzten Arbeitszeit umfasst. Danach hat das FG das Kindergeld für die streitigen Zeiträume zu Recht gewährt, zumal die Einkünfte und Bezüge des S bei einem Stundenlohn von 13,50 DM bzw. Monatslohn von 325 EUR deutlich unter den jeweiligen (anteiligen) Jahresgrenzbeträgen lagen.
Praxishinweis
Der Ausschluss von Kindergeld wegen eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals "typische Unterhaltssituation" in Fällen, in denen die gesetzlichen Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, ist nicht unproblematisch. Er wirft zudem eine Reihe von Abgrenzungsfragen auf. So muss nicht nur geklärt werden, ob als Vergleichsgröße eine branchen-, betriebs- oder tarifübliche Arbeitszeit gilt, sondern auch, in welchem Umfang eine Annäherung an die Normalarbeitszeit erforderlich ist. Weitere Probleme ergeben sich bei von Monat zu Monat schwankenden Arbeitszeiten. Letztlich ist zu fragen, ob das Arbeitszeitelement neben dem Jahresgrenzbetrag als gesetzlichem Indikator für Leistungsfähigkeit überhaupt ein geeignetes Merkmal darstellt.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.02.2006, III R 8/05, III R 46/05