Das steht im Urteil
Entstehen dem Kindergeldberechtigten für sein auf Kosten des Sozialleistungsträgers untergebrachtes Kind Aufwendungen mindestens i.H.d. Kindergelds, ist das Kindergeld nicht an den Sozialleistungsträger, sondern an den Kindergeldberechtigten auszuzahlen.
Der Sachverhalt
A hat eine im Jahr 1963 geborene Tochter, die aufgrund ihrer Behinderung in einer Pflegeeinrichtung vollstationär untergebracht ist. Der Sozialleistungsträger gewährte der Tochter für die Unterbringung Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG und ab 2005 nach den §§ 53 ff. SGB XII.
Ab Januar 2002 wurde A zu einem Kostenbeitrag von mtl. 26 EUR (§ 91 Abs. 2 BSHG) und ab 1.1.2005 von mtl. 46 EUR (§ 94 Abs. 2 Satz 1 SGB XII) herangezogen.
Die Familienkasse hatte A zunächst Kindergeld gewährt, hob aber die Festsetzung des Kindergelds ab Januar 2003 auf, weil die Tochter aufgrund ihrer Einkünfte (Eingliederungshilfe) den Lebensunterhalt selbst bestreiten könne. – Den daraufhin vom Sozialleistungsträger gestellte Antrag, Kindergeld festzusetzen und an ihn abzuzweigen, lehnte die Familienkasse ab. Im finanzgerichtlichen Verfahren räumte die Familienkasse zwar ein, dass die Tochter in den Jahren 2003 und 2004 nicht in der Lage gewesen sei, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, und deshalb ein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Den Antrag des Sozialleistungsträgers, die Familienkasse zu verpflichten, das Kindergeld abzgl. des Kostenbeitrags der A an ihn abzuziehen (§ 74 EStG), lehnte das Finanzgericht jedoch ab.
Die Meinung des BFH
Der BFH geht davon aus, dassdie Voraussetzungen für eine Abzweigung des Kindergelds dem Grunde nach vorliegen. Denn das für ein Kind festgesetzte Kindergeld kann auch an die Person oder Stelle ausgezahlt werden, die dem Kind Unterhalt gewährt, wenn der Kindergeldberechtigte seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht (§§ 1601 ff. BGB) nicht nachkommt (§ 74 Abs. 1 Sätze 1 und 4 EStG). A ist ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht i.S.d. § 74 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nachgekommen, da sie die laufenden Kosten für die vollstationäre Unterbringung der Tochter in der Pflegeeinrichtung – mit Ausnahme des Kostenbeitrags – nicht übernommen hat.
Ob und in welcher Höhe das Kindergeld an eine andere Person oder Stelle abgezweigt wird, steht allerdings nach § 74 Abs. 1 EStG im Ermessender Familienkasse ("kann"). Der BFH kommt zu dem Ergebnis, dass eine Abzweigung an den Sozialleistungsträger nicht in Betracht kommt, wenn dem Kindergeldberechtigten Aufwendungen für das volljährige behinderte Kind mindestens i.H.d. Kindergelds entstehen. In einem solchen Fall ist das Ermessen der Familienkasse, ob und in welcher Höhe das Kindergeld an den Sozialleistungsträger abzuzweigen ist, eingeschränkt. Ermessensgerecht ist dann allein die Auszahlung des vollen Kindergelds an den Kindergeldberechtigten. Bei der Prüfung, ob Aufwendungen i.H.d. Kindergelds entstanden sind, dürfen allerdings keine fiktiven Kosten für die Betreuung des Kindes, sondern nur tatsächlich entstandene Aufwendungen für das Kind berücksichtigt werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 09.02.2009, III R 37/07v. 9.2.2009, III R 37/07