Leitsatz

Kann sich ein privater Steuerpflichtiger, der mit einer Einrichtung des öffentlichen Rechts im Wettbewerb steht und geltend macht, deren Nichtbesteuerung oder zu niedrige Besteuerung sei rechtswidrig, auf Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG berufen?

 

Sachverhalt

Ein Feuerbestattungsverein verlangt vom Finanzamt Auskunft darüber, wann und unter welcher Steuernummer gegenüber seiner Gemeinde, die wie er selbst ein Krematorium betreibt, der letzte Umsatzsteuerbescheid ergangen und ob dieser Bescheid bestandskräftig geworden ist. Das Finanzamt lehnte die Erteilung der Auskunft mit Hinweis auf das Steuergeheimnis ab. Das FG verpflichtete das Finanzamt, den Kläger erneut zu bescheiden; es gehe um die Offenbarung der in einem Verwaltungsverfahren erlangten Kenntnisse zur Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens in Steuersachen, die zulässig sei; denn der Verein beabsichtige wegen der von ihm vermuteten Nichtbesteuerung oder zu niedrigen Besteuerung der Gemeinde eine – wegen des drittschützenden Charakters von § 2 Abs. 3 UStG zulässige – Klage zu erheben.

 

Entscheidung

Der BFH hat dem EuGH die eingangs bezeichnete Frage gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt. Der BFH lässt die Richtigkeit der das FG-Urteil tragenden Ansicht dahinstehen, § 2 Abs. 3 UStG sei eine drittschützende Norm. Er möchte vom EuGH wissen, ob Art. 4 Abs. 5 Unterabs. 2 der 6. RL dem Schutz konkurrierender privater Dritter dienen soll. Falls das Gemeinschaftsrecht so zu verstehen ist, kann auch das UStG nach dem Grundsatz richtlinienkonformer Auslegung des Umsetzungsrechts nicht anders ausgelegt werden.

 

Praxishinweis

Eine Auskunftserteilung über die Besteuerung eines Konkurrenten ist nur zulässig, wenn die Auskunft im Sinne des § 30 Abs. 4 Nr. 1a AO einem Konkurrentenschutzverfahren "dienen" kann. Wäre eine mit Hilfe der Auskunft betriebene Konkurrentenklage offenkundig unzulässig, wäre es auch die Auskunftserteilung. Kann man aber dem Finanzamt das Recht zugestehen und die Pflicht auferlegen, über die letztlich vom Gericht zu beurteilende Zulässigkeit oder Unzulässigkeit einer Konkurrentenklage vorab zu entscheiden und demzufolge gegebenenfalls die für eine solche Klage erforderliche Auskunft zu verweigern? Der BFH hat diese Fragen nicht erörtert.

Die unmittelbare Geltung einer EU-Richtlinie ist Voraussetzung dafür, dass sich ein Einzelner auf die Richtlinie berufen kann, auch wenn sie im nationalen Recht nicht oder nicht richtig umgesetzt worden ist. Der EuGH[1] hat entschieden, dass Art. 4 Abs. 5 der 6. RL inhaltlich hinreichend genau ist und Einrichtungen öffentlichen Rechts sich deshalb auf diese Bestimmung berufen können. Zweck dieser Bestimmung sei es, die "Steuerneutralität" zu gewährleisten, wenn Einrichtungen des öffentlichen Rechts Tätigkeiten ausübten, die im Wettbewerb mit ihnen auch von Privaten ausgeübt werden könnten.

 

Link zur Entscheidung

BFH-Beschluss vom 8.7.2004, VII R 24/03

[1] Vgl. EuGH-Urteil vom 17.10.1989, Rs. 231/87, 129/88, EuGHE 1989, S. 3233, Rz. 31

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