Leitsatz

Aufwendungen für die Unterbringung eines verhaltensauffälligen Jugendlichen in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe können nur dann als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, wenn durch ein vor der Unterbringung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten nachgewiesen wird, dass die Verhaltensauffälligkeiten auf einer Krankheit beruhen und die Unterbringung in der Wohngruppe medizinisch notwendig ist.

 

Sachverhalt

Die Steuerpflichtigen machten für 1998 die Aufwendungen für die Unterbringung ihres damals 16-jährigen Sohns in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe als außergewöhnliche Belastung geltend. Sie legten dazu nachträgliche Bescheinigungen einer Fachärztin und einer Amtsärztin aus 2000 bzw. 2001 vor, die das Finanzamt nicht anerkannte, weil das amtsärztliche Attest erst nach der Behandlung ausgestellt worden sei. Das FG gab dagegen der Klage statt. Es sah die Zwangsläufigkeit der Behandlung durch die nachträgliche amtsärztliche Bescheinigung als nachgewiesen an.

 

Entscheidung

Auf die Revision des Finanzamts wurde das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der BFH betont zunächst, dass Krankheitskosten ohne Rücksicht auf die Art und Ursache der Erkrankung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig entstehen und alle Aufwendungen für die Heilbehandlung typisierend als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind. Zugleich bestätigt der BFH seine ständige Rechtsprechung, wonach bei Maßnahmen, die nicht eindeutig nur der Heilung und Linderung einer Krankheit dienen können und deren medizinische Erforderlichkeit daher nur schwer zu beurteilen ist, grundsätzlich ein vor der Behandlung ausgestelltes amts- oder vertrauensärztliches Gutachten erforderlich ist, aus dem sich die Krankheit und die medizinische Notwendigkeit der Behandlung ergeben. Da die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Wohngruppe nicht nur krankheitsbedingt, sondern auch aus pädagogischen oder weltanschaulichen Gründen veranlasst sein kann, hält der BFH im Streitfall die Vorlage eines vorherigen amtsärztlichen Attests für unabdingbar.

 

Praxishinweis

Es bleibt somit dabei, dass ein erst nachträglich ausgestelltes amtsärztliches Attest nicht ausreicht, um die medizinische Notwendigkeit einer nicht eindeutig medizinisch indizierten Maßnahme nachzuweisen. Ein nachträglich ausgestelltes amtsärztliches Attest lässt der BFH ausnahmsweise dann zu, wenn von dem Steuerpflichtigen nicht erwartet werden konnte, dass er die Notwendigkeit der vorherigen amtsärztlichen Begutachtung erkennt, weil dieses Erfordernis für bestimmte Aufwendungen erstmals vom BFH aufgestellt wurde[1].

 

Link zur Entscheidung

BFH-Urteil vom 21.4.2005, III R 45/03

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