Leseunkundiger Erblasser
Wer Geschriebenes nicht zu lesen vermag, kann kein privatschriftliches Testament errichten (§ 2247 Abs. 4 BGB). Dies kann bei starker Sehbehinderung, aber auch bei (dem nicht seltenen) Analphabetismus zum Problem werden:
Der Erblasser hatte zusammen mit seiner Ehefrau ein privatschriftliches Testament errichtet, in dem diese sich wechselseitig zu ihren alleinigen Erben einsetzten. Dieses Testament hatte die Ehefrau geschrieben und es war von ihr und dem Erblasser unterzeichnet. Auf Grundlage dieses Testaments erteilte das Nachlassgericht der Ehefrau einen Erbschein, der sie als Alleinerbin auswies. Doch hiergegen wehrten sich die beiden Kinder des Erblassers aus erster Ehe und regten die Einziehung des Erbscheins an, da ihr Vater Analphabet gewesen sei und daher ein privatschriftliches Testament nicht wirksam habe errichten können. Das Nachlassgericht lehnte dies ab. Nunmehr beantragte eines der beiden Kinder Verfahrenskostenhilfe für eine gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts beabsichtigte Beschwerde – mit Erfolg!
Das OLG Dresden bewilligte die Verfahrenskostenhilfe, da die beabsichtigte Beschwerde ganz überwiegende Aussicht auf Erfolg habe:
Beweisregel
Zwar trägt die Beweislast bzw. die Feststellungslast für die Behauptung mangelnder Lesefähigkeit des Erblassers grundsätzlich derjenige, der sich auf diesen Einwand beruft. Grundsätzlich spricht der erste Anschein dafür, dass derjenige, der ein Testament eigenhändig verfasst, auch in der Lage sei, das von ihm Geschriebene zu lesen. Vorliegend hatte der Erblasser das Testament aber lediglich mitunterzeichnet. Zudem war unstreitig, dass der Erblasser bis zu seinem Lebensende nicht schreiben und jedenfalls bis wenige Jahre vor seinem Tod auch nicht lesen konnte. Im Erbscheinsverfahren hatte die Ehefrau behauptet, sie habe ihrem Ehemann durch eine Stunde Üben pro Woche innerhalb von 1 Jahr das Lesen beigebracht. Diese Darstellung hielt das Gericht für wenig glaubhaft.
Umkehr der Beweislast
Vor diesem Hintergrund sei grundsätzlich davon auszugehen, dass die Beweislast für die angeblich doch noch erlangte Lesefähigkeit des Erblassers bei seiner Ehefrau als der durch das Testament begünstigten Person liege. Selbst wenn aber der Beschwerdeführer das Fehlen der Lesefähigkeit zu beweisen hätte, sei nach den Umständen trotzdem ein Obsiegen wahrscheinlich.
Fazit
In Fällen starker Sehbehinderung oder von Analphabetismus empfiehlt sich die Errichtung eines notariellen Testaments.
(OLG Dresden, Beschluss v. 12.1.2015, 17 W 1341/14, juris; dazu Podewils, jurisPR-FamR 24/2015 Anm. 5)