Leitsatz

  1. Eine Schuldverschreibung, die am Ende ihrer Laufzeit zum Nennbetrag zurückgezahlt wird, ist nur dann ein abgezinstes Wertpapier, wenn bei ihrer Emission für sie ein unter ihrem Nennwert liegender Betrag zu zahlen war.
  2. Bei einer minderverzinslichen Optionsschuldverschreibung (Optionsanleihe) trifft dies dann zu, wenn die zugrunde liegenden Anleihebedingungen der Emittentin keine Regelungen enthalten, die darauf schließen lassen, dass der Ausgabepreis ausschließlich für die Schuldverschreibung aufgewendet worden ist.
 

Sachverhalt

Die RWE AG legte im April 1986 eine Optionsanleihe auf, die in Optionsschuldverschreibungen im Nennbetrag von 1000 und 10000 DM aufgeteilt, mit jährlich 3,5 % zu verzinsen und am 3.4.1996 fällig war. Zum Erwerb einer Anleihe in Höhe von 1000 DM (Kurs 100 %) verbunden mit einem Optionsschein zum Erwerb von 7 Vorzugsaktien mit einem Nennwert von jeweils 50 DM zum Kurs von 185 DM waren 90 Aktien erforderlich. Das Bezugsrecht für die Optionsschuldverschreibungen wurde vom 20.3. bis 27.3.1986 an allen deutschen Wertpapierbörsen gehandelt. Am 15.5.1986, dem Tag der erstmaligen Trennungsmöglichkeit von Anleihe und Optionsschein, wurden der Optionsschein mit 102 DM und die Schuldverschreibung ohne Optionsschein mit 78,75 % gehandelt. Auf den 3.4.1986, den ersten Tag nach dem Ende der 14-tägigen Bezugsfrist, wurde auf der Basis einer Emissionsrendite von 6,439 % ein rechnerischer Emissionspreis (Kapitalwert) der Schuldverschreibungen von 78,80 % ermittelt.

Die zusammenveranlagten Eheleute E hatten 1991 und 1993 die genannten Schuldverschreibungen ohne Optionsscheine zu Kursen zwischen 81,80 % und 95,50 % erworben. Bei Fälligkeit am 3.4.1996 lösten sie die Schuldverschreibungen ein und deklarierten in ihrer ESt-Erklärung aus den Schuldverschreibungen neben den laufenden Zinseinnahmen einen Ertrag von 3046 DM. Das Finanzamt nahm an, es handele sich bei den Wertpapieren um abgezinste Schuldverschreibungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. a EStG 1996 und ging entsprechend der Mitteilung der Bank der Eheleute von einer Emissionsrendite von 6,4392 % und einem Kapitalwert von 78,81 % aus. Daraus ergab sich ein steuerpflichtiger Ertrag von 37410 DM, den das Finanzamt statt der deklarierten Erträge ansetzte. Die hiergegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

 

Entscheidung

Wie das FG war auch der BFH der Auffassung, es handele sich bei den umstrittenen Wertpapieren um abgezinste Schuldverschreibungen i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. a EStG. Die aus der Einlösung der Schuldverschreibungen erzielten Einnahmen gehören daher insoweit zu den Einkünften aus Kapitalvermögen, als sie der rechnerisch auf die Besitzzeit entfallenden Emissionsrendite entsprechen.

Der BFH stützte sich darauf, dass bei der Emission der Optionsschuldverschreibungen im Jahre 1986 Schuldverschreibung und Optionsrecht nur gemeinsam zum Nennbetrag der Anleihe (Ausgabepreis) erworben werden konnten. Der Erwerber habe daher für 1000 DM neben der – minderverzinslichen – Schuldverschreibung über diesen Betrag auch das Optionsrecht zum Bezug von insgesamt 7 Vorzugsaktien erhalten. Der Ausgabepreis wird nach Auffassung des BFH damit sowohl für den Erwerb der Anleihe als auch der Optionsscheine aufgewendet (sog. Doppelerwerb). Auf dieser Annahme zweier Wirtschaftsgüter gründe auch § 272 Abs. 2 Nr. 2 HGB, wonach in der Bilanz der emittierenden Gesellschaft als Kapitalrücklage u.a. der Betrag auszuweisen sei, der bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen für Wandlungs- und Optionsrechte zum Erwerb von Anteilen erzielt werde. Die Emittentin einer minderverzinslichen Optionsschuldverschreibung muss daher in ihrer Bilanz den vereinnahmten Ausgabepreis, der dem Nennbetrag entspricht, aufteilen.

Das Argument, der Erwerber einer minderverzinslichen Optionsschuldverschreibung müsse nicht nur den Ausgabebetrag in Höhe des Nennwerts, sondern auch den Wert seines Bezugsrechts aufwenden, hielt der BFH nicht für stichhaltig. Der Umstand, dass ein Bezugsrecht Voraussetzung für den Erwerb der Optionsanleihe sei, habe nämlich keinen Einfluss auf die Frage, ob die Schuldverschreibung ein abgezinstes Wertpapier i.S.d. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 Buchst. a EStG sei. Denn diese Frage sei allein nach dem Verhältnis zwischen Emittentin und Ersterwerber zu beurteilen. Dieses Verhältnis sei jedoch vom Wert des Bezugsrechts nicht betroffen, weil das Bezugsrecht bzw. sein Wert keine Gegenleistung sei, die der Erwerber der Optionsanleihe der Emittentin gewähre. Denn ein Dritter, der nicht Aktionär sei und die Optionsanleihe erwerben wolle, müsse das Bezugsrecht von einem Aktionär und nicht von der emittierenden Gesellschaft erwerben. Dem gemäß sind die Aufwendungen für die Erlangung des Bezugsrechts nach Auffassung des BFH weder Entgelt noch Gegenleistung für die Optionsanleihe.

 

Praxishinweis

Für minderverzinsliche Optionsanleihen hat der I. Senat[1] bereits entschieden, die Frage, ob der Ausgabepreis für die Schuldverschreibung und das ...

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