Leitsatz (amtlich)

Mittäter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ist nicht, wer sich als Ehegatte darauf beschränkt, die gemeinsame Einkommensteuererklärung zu unterschreiben, in der der andere Ehegatte unrichtige oder unvollständige Angaben über eigene Einkünfte macht.

 

Sachverhalt

Der Ehemann der Klägerin (X) wurde vom damaligen Ministerium für Staatssicherheit der DDR für eine Geheimdiensttätigkeit angeworben. Hierfür erhielt er bis zu seiner Verhaftung Agentenlohn; in den Jahren 1982 bis 1988 schätzungsweise 692 000 DM. Die Klägerin erzielte bis 1982/83 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Für die Jahre 1982 bis 1989 gaben die Eheleute gemeinsame Steuererklärungen ab, machten aber keine Angaben zum Agentenlohn. Das Finanzamt erließ gegen sie berichtigte ESt-Bescheide, in denen es Einkünfte des X aus Agententätigkeit gemäß § 22 EStG von insgesamt 591 500 DM versteuerte. Darauf beantragte die Klägerin die Aufteilung der Gesamtschuld, die das Finanzamt antragsgemäß vornahm. 1992 erließ das Finanzamt einen Haftungsbescheid nach den §§ 191, 71 AO und nahm die Klägerin für die Einkommensteuer aufgrund der nicht erklärten Agenteneinkünfte in Haftung. Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt[1]. Die Revision blieb erfolglos.

 

Entscheidungsgründe

Nach § 71 AO haftet u.a. für verkürzte Steuern, wer eine Steuerhinterziehung begeht oder daran teilnimmt. Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten liegt eine Beihilfe oder Mittäterschaft eines Ehegatten nicht schon dann vor, wenn ein Ehegatte die ESt-Erklärung mit unterzeichnet, obwohl er weiß, dass die Angaben seines Gatten über dessen Einkünfte unzutreffend sind[2]. Das bloße Mitunterzeichnen der Steuererklärung, zu der der andere Ehegatte bei der Zusammenveranlagung verpflichtet ist, begründet noch keine Mitverantwortung für die unrichtige Erklärung der Einkünfte des anderen Ehegatten[3]. Zusammen veranlagte Eheleute müssen nach § 25 Abs. 3 Satz 2 EStG eine gemeinsame ESt-Erklärung abgeben. Beide haben den Vordruck eigenhändig zu unterschreiben und versichern damit, die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht zu haben[4]. Daraus lässt sich aber nicht folgern, dass alle Angaben auch von beiden Ehegatten mitgetragen werden. Vielmehr beschränkt sich der Erklärungsgehalt der Unterschrift auf die Tatsachen, die den jeweiligen Ehegatten betreffen[5].

Nach § 26 Abs. 1, § 26b EStG folgt das Gesetz bei steuerfreien Einkünften dem Prinzip der Individualbesteuerung. Jeder Ehegatte für sich erzielt Einkünfte, wenn er selbst den Tatbestand einer Einkunftsart verwirklicht. Im Anschluss an die für jeden Ehegatten gesondert vorzunehmende Ermittlung der Einkünfte werden die von den Ehegatten erzielten Einkünfte bei der Zusammenveranlagung gemäß § 26b EStG zunächst zusammengerechnet und den Ehegatten gemeinsam zugerechnet. "Sodann", d.h. nach Zusammenrechnen und gemeinsamem Zurechnen, werden die Ehegatten gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt[6]. Mit der so jeweils zu unterscheidenden Wissenssphäre korrespondiert der Erklärungsgehalt der Unterschrift und damit der Verantwortungsbereich des jeweiligen Ehegatten: Betrifft die Erklärung Einkünfte, die nur von einem Ehegatten erzielt werden, so macht nur derjenige Ehegatte "Angaben", der den Tatbestand dieser Einkunftsart verwirklicht. Bezieht sich die ESt-Erklärung auf Besteuerungsmerkmale, die - wie z.B. Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen - beide Ehegatten betreffen, so beziehen sich auch ihre Erklärungen auf diese Merkmale.

Diese Grundsätze gelten aber nur dann, wenn der Tatbeitrag des Ehegatten lediglich darin besteht, die gemeinsame Steuererklärung mit zu unterzeichnen. Gehen seine Beiträge darüber hinaus, unterstützt er z.B. den anderen Ehegatten aktiv bei seiner Tat, falsche Angaben zu machen, so nimmt er an dem Delikt teil. Tatbeiträge, die über das Unterschreiben der gemeinsamen Steuererklärung hinausgehen, hat das FG indessen nicht festgestellt. Daran ist der BFH nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden.

Die Klägerin haftet auch nicht nach § 71 i.V.m. § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO. Nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO begeht Steuerhinterziehung, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt. Zwar hat die Klägerin sich zu den Einkünften ihres Ehemannes aus dessen Agententätigkeit nicht geäußert. Indes bestand für sie auch keine Rechtspflicht, eine entsprechende Erklärung abzugeben. Ihr stand vielmehr das Recht zu, die Auskunft zu verweigern, und zwar zunächst nach § 101 Abs. 1 AO. Sie durfte die Auskunft überdies nach § 103 AO wegen der Gefahr strafgerichtlicher Verfolgung verweigern. Hätte sie sich nämlich zu den Einkünften aus der Agententätigkeit ihres Mannes geäußert, hätte das Finanzamt die dadurch erlangten Kenntnisse gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 5 Buchst. a AO offenbaren können, wodurch sich die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung ihres Ehemannes ergeben hätte.

 

Link zur Entscheidung

BFH vom 16.4.2002 – IX R 40/00

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