Prof. Dr. Bernd Heuermann
Leitsatz
Erhält ein Eigentümer für die Inanspruchnahme seines Grundstücks im Zuge der Errichtung einer baulichen Anlage auf dem Nachbargrundstück ein Entgelt, so muss er dieses nach § 21 Abs. 1 EStG versteuern.
Sachverhalt
Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks. Auf dem angrenzenden Nachbargrundstück errichtete B ein Mehrfamilienhaus. Um das Bauprojekt zu verwirklichen, musste B das Grundstück der Klägerin für Aushub und Arbeitsraum teilweise in Anspruch nehmen. Über den sachlichen und zeitlichen Umfang der Inanspruchnahme kam es zwischen der Klägerin und B zu einem Streit, der durch Vertrag vom Juli 1995 beigelegt wurde. Darin wurde B u.a. gestattet, Verankerungen und Vernagelungen zur Hangsicherung bis zu einer Tiefe von höchstens 10 Meter ab der gemeinsamen Grundstücksgrenze anzubringen und bereits vorgenommene Verankerungen zu belassen. B verpflichtete sich, die genutzte Grundstücksfläche wiederherzustellen und einen zusätzlichen Ausgleich für die Inanspruchnahme des Grundstücks in Höhe von insgesamt 26000 DM zu zahlen. Finanzamt und -gericht erfassten die Zahlung als Einkünfte aus sonstigen Leistungen.
Entscheidung
Der BFH wertet die Zahlung als Einnahme aus Vermietung und Verpachtung. § 21 Abs. 1 EStG ist gegenüber § 22 Nr. 3 EStG die vorrangige Einkunftsart. Sie erfasst – wie hier – die unmittelbare Inanspruchnahme des Grundstücks gegen Entgelt. Die Klägerin hat B gestattet, in der Zeit, in der dieser das Nachbargrundstück bebaute, auf ihrem Grundstück bereits eingebrachte Verankerungen zu belassen und weitere Sicherungsmaßnahmen anzubringen. Der wirtschaftliche Schwerpunkt des Verhaltens ist damit die einer Vermietung vergleichbare Nutzungsüberlassung und nicht die Hinnahme eines bestimmten Zustandes des Nachbargrundstücks. Selbst wenn die Klägerin öffentlich-rechtlich verpflichtet gewesen war, diese Art von Nutzung als Nachbar zu dulden – einige Länder, z.B. Baden-Württemberg, haben ein ausdrückliches Nachbarrechtsgesetz –, ändert das am Ergebnis nichts. Das EStG selbst bewertet Nutzungsvergütungen auch dann als steuerbar, wenn sie für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke geleistet werden. Das ergibt sich auch aus § 24 Nr. 3 EStG.
Praxishinweis
Die Entscheidung ist bedeutsam für die Abgrenzung der Einkunftsarten. Sie ist nicht bloß von rechtstheoretischem Interesse, sondern auch praktisch wichtig. Denn Einkünfte aus sonstigen Leistungen werden anders als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung ermittelt. Es gibt z.B. bei den sonstigen Einkünften nur einen eingeschränkten Verlustausgleich. Sie sind andererseits nur dann steuerpflichtig, wenn sie mindestens 256 EUR im Kalenderjahr betragen.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 2.3.2004, IX R 43/03