Leitsatz
Ein Verweisungsbeschluss, der unter Verstoß gegen den Grundsatz der sog. perpetuatio fori (Grundsatz der fortdauernden Zuständigkeit des einmal angerufenen Gerichts) ergeht, kann wegen offensichtlicher Fehlerhaftigkeit unwirksam sein.
Sachverhalt
Das Finanzamt A nahm einen Entleiher im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung mit Lohnsteuer-Haftungsbescheid in Anspruch. Im Klageverfahren verwies das für das Finanzamt A zuständige Finanzgericht B die Sache an das Finanzgericht C, da auf der Seite der Behörde ein gesetzlicher Parteiwechsel eingetreten sei. Aufgrund des Gesetzes zur Eindämmung der illegalen Betätigung im Baugewerbe sei für Werkvertragsunternehmen mit Sitz in Bulgarien, also auch im Streitfall, zentral das Finanzamt N zuständig. Deswegen müsse die Sache an das Finanzgericht C abgegeben werden. Dagegen verwies das Finanzgericht C die Sache an das Finanzgericht B zurück, da dessen Abgabebeschluss keine Rechtsgrundlage habe. Darauf rief das Finanzgericht B den BFH an, damit er gemäß §39 Abs.1 Nr.4 FGO bestimmt, welches Finanzgericht zuständig ist. Der BFH befand, dass das Finanzgericht B die Sache zu entscheiden hat.
Entscheidung
Nach §70 Satz1 FGO i.V.m. §17 Abs.1 GVG gilt auch im finanzgerichtlichen Verfahren der Kontinuitätsgrundsatz (sog. perpetuatio fori), nach dem die Zuständigkeit eines FG durch eine nach Rechtshängigkeit eintretende Veränderung der sie begründenden Umstände nicht mehr entfällt. Bei derartigen Veränderungen soll nicht jeweils ein neues Gericht mit der Sache befasst werden, was auch eine Verzögerung und Verteuerung des Prozesses vermeidet. Das angerufene Gericht hat seine Zuständigkeit nur bei einer Änderung des Streitgegenstands oder einer Klageänderung zu prüfen. Beides liegt beim gesetzlichen Beklagtenwechsel nicht vor; vielmehr rückt der neue Beteiligte ohne weitere Erklärungen in das Verfahren ein.
Der BFH hat sich noch damit auseinandergesetzt, dass – gegebenenfalls auch fehlerhafte – Verweisungsbeschlüsse grundsätzlich bindend sind. Das gilt aber dann nicht, wenn die Verweisung offensichtlich unhaltbar ist. So verhielt es sich im Streitfall: Die Auffassung des Finanzgerichts B, der Kontinuitätsgrundsatz sei in Finanzgerichtsprozessen nicht anzuwenden, stellt im Ergebnis eine willkürliche Verlagerung des gesetzlichen Richters dar.
Praxishinweis
Der I. Senat des BFH hat dieses Ergebnis in einem anderes gelagerten, keinen negativen Kompetenzkonflikt zwischen zwei Finanzgerichten betreffenden Fall zwischenzeitlich mit der Begründung bestätigt, ein behördlicher Beteiligtenwechsel, d.h. ein Zuständigkeitsübergang vom Finanzamt X auf das Finanzamt Y, berühre die Zuständigkeit nicht. Damit hat sich der I. Senat vom Beschluss des V. Senats abgegrenzt. Dort hatte allerdings das nunmehr zuständige Finanzamt einen Änderungsbescheid erlassen, der nach §68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens geworden war. In einer solchen Situation liegt eine Änderung des Streitgegenstands, die die Fortdauer der Gerichtszuständigkeit erlöschen lässt, schon in der Auswechslung des streitbefangenen Bescheids.
Link zur Entscheidung
BFH-Beschluss vom 20.12.2004, VI S 7/03