Leitsatz
- Die durch das UntStFG geschaffenen gesetzlichen Regelungen zur sog. Mehrmütterorganschaft sind verfassungsgemäß. Sie verstoßen nicht gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Rückwirkungsverbot.
- Die verfahrensrechtlichen Bestimmungen über das Ruhen von Verfahren kraft Gesetzes in § 363 Abs. 2 Satz 2 AO begründen keinen einfachgesetzlichen Vertrauensschutz, der einer rückwirkenden Anwendung des § 2 Abs. 2 Satz 3, § 36 Abs. 2 Satz 2 GewStG 1999 i.V.m. § 14 Abs. 2 KStG 1999 (jeweils i.d.F. des UntStFG) entgegenstünde.
- Auch im Fall der Beendigung einer sog. Mehrmütterorganschaft gilt, dass Verluste der Organgesellschaft, die während der Dauer der Organschaft entstanden sind, nur von dem maßgebenden Gewerbeertrag der Organträger-GbR abgesetzt werden können. Eine anteilige Berücksichtigung bei einem an der GbR – vormals – beteiligten Unternehmen kommt mangels Unternehmensidentität (§ 10a GewStG) selbst dann nicht in Betracht, wenn dieses Unternehmen den Betrieb der Organgesellschaft fortführt (Bestätigung des BMF-Schreibens vom 26.8.2003, IV A 2 – S 2770 – 18/03, BStBl I 2003, S. 437, Tz. 20).
Sachverhalt
Die X-AG und die Y-AG waren an der A-AG beteiligt. Sie hatten die A-GbR gegründet, die ihrerseits mit der A-AG einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen hatte. Die A-AG erzielte in den Jahren 1991 bis 1995 Verluste, die bei der A-GbR vorgetragen wurden. Ferner war die X-AG Alleingesellschafterin und Organträgerin der I-GmbH, die wiederum im Rahmen einer "Mehrmütterorganschaft" mit der P-GmbH an der H-GmbH beteiligt war; auch hier wurden Verluste der H-GmbH bei der zwischengeschalteten GbR vorgetragen.
Später erwarb die X-AG die restlichen Anteile an der A-AG; diese wurden auf die X-AG verschmolzen. Entsprechend verfuhr die I-GmbH im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an der H-GmbH. Die X-AG beantragte daraufhin, bei ihrer Veranlagung zur Gewerbesteuer 1997 die bei den beiden GbR entstandenen Verlustvorträge anteilig bei ihrer eigenen Besteuerung zu berücksichtigen. Das lehnten Finanzamt und FG ab. Auf die Revision entschied der BFH jedoch, dass die Organmütter bei einer Mehrmütterorganschaft Verluste der Organgesellschaft anteilig geltend machen könnten und dass diese Verluste gesondert festzustellen seien. Auf dieser Basis wurde die Sache an das FG zurückverwiesen.
Im zweiten Rechtsgang setzte das FG das Verfahren nach § 74 FGO aus, um dem Finanzamt die Feststellung der streitigen Gewerbeverluste zu ermöglichen. Das BMF verfügte jedoch im Vorgriff auf eine geplante Gesetzesänderung eine Nichtanwendung des BFH-Urteils. Diese Gesetzesänderung erfolgte durch das UntStFG vom 20.12.2001, das § 14 Abs. 2 Satz 1 KStG und § 2 Abs. 2 Satz 3 GewStG rückwirkend im Sinne der bisherigen Verwaltungspraxis änderte. Daraufhin nahm das FG das Verfahren wieder auf und gab der Klage statt.
Entscheidung
Verluste einer Organgesellschaft, die während einer gewerbesteuerrechtlichen Organschaft entstanden sind, können auch nach deren Beendigung nur vom Gewerbeertrag des Organträgers abgesetzt werden. Als Organträger hat der BFH zwar für den Fall der "Mehrmütterorganschaft" in Änderung früherer Rechtsprechung die Obergesellschaften – hier also u.a. die X-AG – angesehen. Das UntStFG hat aber die Rechtslage rückwirkend dahin geändert, dass nur die zwischengeschaltete "Willensbildungs-GbR" Organträgerin ist und mit deren Erlöschen etwaige Verlustvorträge der Organgesellschaft ersatzlos untergehen. Diese Regelung ist verfassungsgemäß und erfasst auch Fälle, in denen es – wie hier – um die Verlustberücksichtigung nach Beendigung der Organschaft geht. Die Klage ist deshalb abzuweisen.
Praxishinweis
Auf die Bindungswirkung des im ersten Rechtsgang ergangenen BFH-Urteils konnte sich die X-AG ebenso wie auf den Schutz vor Rechtsprechungsänderungen durch § 176 AO nicht berufen, da eine verfassungsrechtlich zulässige rückwirkende Gesetzesänderung den einfachgesetzlichen Schutzmechanismen vorgeht. Auch dass das FG-Verfahren zwischenzeitlich ausgesetzt war, begründete für die X-AG keinen Vertrauensschutz.
Link zur Entscheidung
BFH-Urteil vom 14.3.2006, I R 1/04