Rz. 439

Für den Fall, dass der Aufsichtsrat nach der Satzung nur befugt ist, die Vorstandsmitglieder zu bestellen[1] und die Generalversammlung über die Abberufung entscheiden muss,[2] sieht das Genossenschaftsgesetz die Möglichkeit der vorläufigen Amtsenthebung der Vorstandsmitglieder vor.[3]

Der Aufsichtsrat ist dementsprechend befugt, nach seinem Ermessen von der Generalversammlung abzuberufende Mitglieder des Vorstands vorläufig, und zwar bis zur Entscheidung der unverzüglich einzuberufenden Generalversammlung, von ihren Geschäften zu entheben und wegen einstweiliger Fortführung derselben das Erforderliche zu veranlassen (§ 40 GenG).

Der Aufsichtsrat kann in einem solchen Fall von der Möglichkeit der vorläufigen Amtsenthebung nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch machen. Maßstab ist dabei die Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder (§§ 41, 34 Abs. 1 GenG). Entscheidend ist dabei, ob der Aufsichtsrat davon überzeugt ist, dass die vorläufige Abberufung unter Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte im Interesse der eG zur Abwendung von Schäden geboten ist.[4] Eine willkürliche vorläufige Amtsenthebung eines Vorstandsmitglieds kann zu Schadensersatzansprüchen der Genossenschaft gegenüber den Mitgliedern des Aufsichtsrats führen.[5]

 

Rz. 440

Der Beschluss über die vorläufige Abberufung erfolgt nach dem Gesetz mit einfacher Mehrheit der Mitglieder des Aufsichtsrats.[6] Nach der Mustersatzung ist jedoch für einen solchen Beschluss eine Mehrheit von drei Vierteln aller Mitglieder des Aufsichtsrats notwendig (§ 21 Abs. 5 Satz 2 MS). Vor einer Entscheidung über eine vorherige Amtsenthebung ist die Anhörung des betreffenden Vorstandsmitglieds zwar nicht zwingend, aber regelmäßig geboten.[7]

 
Praxis-Beispiel

Zwischen dem Aufsichtsrat der eG und einem Vorstandsmitglied bestehen gravierende Meinungsunterschiede über die künftige Geschäftspolitik der eG. Der Aufsichtsrat befürchtet erhebliche wirtschaftliche Risiken für die eG, wenn das Vorstandsmitglied seine bisherige Arbeit fortsetzt. Der Aufsichtsrat besteht aus neun Mitgliedern und beschließt mit sieben Ja-Stimmen und zwei Nein-Stimmen, dass das Vorstandsmitglied vorläufig von seinem Amt abberufen wird

 

Rz. 441

Als Folgen einer vorläufigen Amtsenthebung eines Vorstandsmitglieds hat der Aufsichtsrat unverzüglich eine Generalversammlung einzuberufen, die in dem Fall endgültig über die Abberufung des Vorstandsmitglieds zu entscheiden hat. Nach der Mustersatzung entscheidet die Generalversammlung nicht mit der einfachen Mehrheit, sondern der Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen (§ 36 Abs. 2 Buchst. c MS). Das vorläufig des Amtes enthobene Vorstandsmitglied ist zumindest nach der Mustersatzung zwingend in der Generalversammlung anzuhören (§ 21 Abs. 5 Satz 4 MS).[8]

 

Rz. 442

Die Generalversammlung ist für die endgültige Entscheidung über die Abberufung des Vorstandsmitglieds "unverzüglich" einzuberufen. "Unverzüglich" bedeutet "ohne schuldhaftes Zögern" (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Bezogen auf den Fall einer (außerordentlichen) Generalversammlung bedeutet dies, dass die Einladung innerhalb einer nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessenden Prüfungs- und Überlegungsfrist erfolgen muss.[9] Die Einberufungsfrist nach Gesetz und Satzung ist jedoch auch hier einzuhalten.[10] Es müssen daher schnellstmöglich die organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass die Generalversammlung endgültig über die Abberufung des vorläufig seines Amts enthobenen Vorstandsmitglieds entscheiden kann (Anmietung eines geeigneten Versammlungsraums, Vorbereitung der Einberufung der Generalversammlung, Versand der Einladungen bzw. Bekanntmachung im Bekanntmachungsblatt etc.).

 

Rz. 443

Aufgrund einer vorläufigen Amtsenthebung entfällt mit sofortiger Wirkung die Befugnis des Vorstands, die Genossenschaft zu leiten und zu vertreten.[11] Die Suspendierung des Vorstandsmitglieds ist von Vorstandsmitgliedern in vertretungsberechtigter Zahl zum Genossenschaftsregister anzumelden (§§ 28, 157 GenG; §§ 6 Abs. 2 Nr. 4; 18 Abs. 1 Satz 2 GenRegV).[12] Bis zur Entscheidung der Generalversammlung hat deshalb der Aufsichtsrat das Erforderliche für die einstweilige Fortführung der Geschäfte der eG zu veranlassen. Sofern durch die vorläufige Amtsenthebung die Zahl der Vorstandsmitglieder nicht mehr für eine ordnungsgemäße Geschäftsführung ausreicht, insbesondere die Vertretung der Genossenschaft, ist der Aufsichtsrat befugt, einzelne seiner Mitglieder befristet als Stellvertreter für verhinderte Vorstandsmitglieder zu bestellen (§ 37 Abs. 1 Satz 2 GenG)[13] oder ggf. beim Amtsgericht die Bestellung eines Notvorstands (§§ 29 BGB, 85 AktG analog)[14] zu beantragen.

[1] So § 21 Abs. 4 Satz 1 MS.
[2] Siehe §§ 21 Abs. 4 Satz 4; 35 Abs. 1 Buchst. h MS.
[3] Siehe zur Änderung des Anwendungsbereichs des § 40 GenG nach der Genossenschaftsnovelle 2006 Hillebrand/Keßler/Keßler, GenG, § 40 Rn. 1 m. w. N.
[4] Hillebrand/Keßler/Keßler, GenG, § 40 Rn. 4 m. w. N.
[5] Beuthien/Beuth...

Dieser Inhalt ist unter anderem im WohnungsWirtschafts Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?