Thomas Schlüter, Mirjam Luserke
Rz. 972
Die Wahlen in der Generalversammlung sind erfahrungsgemäß oftmals ein heikles Thema. Die Praxis lehrt: Läuft alles reibungslos und planmäßig ab, d. h. ist sich die Versammlung über einen Kandidaten beispielsweise einstimmig einig, wird hierzu auch nichts hinterfragt. Dann wird zudem zur Beschleunigung des Verfahrens meistens offen abgestimmt. Besteht allerdings Streit in der eG, vor allem auch Uneinigkeit über Kandidaten, dann wird das Wahlverfahren erfahrungsgemäß oftmals sehr kritisch hinterfragt. Und hierzu gab es zur früheren Satzungslage keine befriedigenden Antworten. Daher war hier für die Mustersatzung im Jahr 2022 ein Änderungsbedarf entstanden.
Anlass der Änderung
Rz. 973
Die bisherige Ausgestaltung des Verfahrens für die Wahl zum Aufsichtsrat (§ 34 MS- 2018) warf hinsichtlich der praktischen Durchführung im Rahmen von Mitgliederversammlungen einige Fragen auf, die den Teilnehmern der Versammlung kaum oder – bei emotionaler Aufladung des Versammlungsgeschehens – unter Umständen gar nicht in zufriedenstellender Weise erklärt werden konnten. Hier stand meistens der sog. "2. Wahlgang" in der Kritik, der im Rahmen der Verhältniswahl durchzuführen war, wenn es die vorgeschlagenen Kandidaten im 1. Wahlgang nicht geschafft hatten, die Grenze von 50 % zu überwinden.
Der Gang in den sog. "2. Wahlgang" passte für folgende Konstellation nicht:
Entsprach die Anzahl der vorgeschlagenen Kandidaten der Anzahl der zu vergebenden Sitze und stand aufgrund einer Anwendung des Verhältniswahlverfahrens auf den Stimmzetteln nur ein Feld zum Ankreuzen von "Ja", so konnten im 2. Wahlgang wegen des Wegfalls der 50 %-Hürde die Bewerber mit einer ganz geringen ausdrücklichen Zustimmung dann dennoch in das Aufsichtsratsamt gelangen. Der Grund hierfür lag in dem Umstand, dass vor der Wahl nicht ausreichend zwischen den Eigenheiten einer Einzelwahl und denjenigen einer Verhältniswahl unterschieden wurde. Der bisherige Satzungstext trennt auch nicht konsequent und sprachlich klar genug zwischen diesen beiden Grundansätzen "Einzelwahl" und "Verhältniswahl", sondern setzt einige Wahlgrundsätze fest, deren Zuordnung zu den genannten Kategorien sich nicht leicht erschließt. Es wird zudem der Eindruck erweckt, als ob man zwischen Einzelwahl und Verhältniswahl immer frei wählen dürfe (was nicht der Fall ist, siehe sogleich). Ein "2. Wahlgang" passt zum Beispiel nicht zur Einzelwahl, in deren Rahmen man sich bei jedem Kandidaten für ein ausdrückliches "Ja" oder ein ausdrückliches "Nein" entscheiden kann. Ist die Entscheidung dort nämlich gefallen, dann bleibt kein Raum mehr für einen weiteren Abstimmungsvorgang. Die Durchführung von mehreren, hintereinander gelagerten Abstimmungsläufen deutet bei der Einzelwahl vielmehr auf Rechtsmissbrauch hin.
Die neue Grundstruktur des § 34a MS-2022
Die Schaffung eines neuen § 34a MS geht auf die Überlegung zurück, die Übersichtlichkeit und Lesbarkeit des § 34 MS nicht zu beeinträchtigen. Da das Wahlverfahren jetzt in einem eigenen Paragrafen geregelt ist, lässt sich die Systematik der Neuordnung, zum Ausdruck gebracht in Form der Absätze, besser zeigen, was die Anwendung im Verlauf einer Versammlung erleichtert. Die Regelung in einem "a-Paragrafen" soll die weitere Zählung der einzelnen Vorschriften erhalten, die ja seit Jahrzehnten so in der Mustersatzung vorzufinden ist.
Die entscheidende Weichenstellung
Die Neuregelung schreibt jetzt das jeweils zu verwendende Wahlverfahren vor. Die Entscheidung muss danach fallen, ob für die Anzahl der zu wählenden Sitze gleich viel oder weniger Kandidaten zur Verfügung stehen. Ist dies der Fall, so muss zwingend das Verfahren der Einzelwahl gewählt werden. Denn in diesem Verfahren wird über jeden Kandidaten gesondert mit der Möglichkeit einer ausdrücklichen Ja-Stimme oder einer ausdrücklichen Nein-Stimme entschieden.
Beispiel 1: Einzelwahl
Es sind zwei Sitze zu vergeben. Es stehen zwei Kandidaten zur Verfügung: Herr A und Frau B. Dann ist hier zwingend die Einzelabstimmung für jeden Kandidaten zu wählen. Die Mitgliederversammlung muss jeder Person zustimmen oder diese ablehnen können. Es zählen nur die Ja- und die Nein-Stimmen. Enthaltungen werden nicht gezählt.
Der Wahlzettel sieht so aus:
Herr A |
□ Ja |
□ Nein |
(Einzelwahl) |
Frau B |
□ Ja |
□ Nein |
(Einzelwahl) |
Erhält Herr A mehr Ja-Stimmen als Nein-Stimmen, dann ist er gewählt (Ja-Stimmen und Nein-Stimmen zusammengerechnet). Erhält er gleich viele Ja- und Nein-Stimmen, dann ist er nicht gewählt (Patt-Situation). Einen 2. Wahlgang gibt es nicht. Erhält er weniger Ja-Stimmen als Nein-Stimmen, dann ist er ebenfalls nicht gewählt.
Ganz getrennt hiervon wird auch Frau B in gleicher Weise gewählt.
Mögliche Ergebnisse:
- Es können beide Kandidaten gewählt werden. Dann sind beide Sitze besetzt.
- Es wird nur ein Kandidat gewählt. Dann bleibt ein Sitz unbesetzt.
- Beide Kandidaten erreichen nicht die Mehrheit. Beide Sitze bleiben unbesetzt.
Eine offene Abstimmung wäre hier auch möglich und praktisch durchführbar (wobei a...