Thomas Schlüter, Mirjam Luserke
Rz. 903
Das Genossenschaftsmitglied "soll" sein Stimmrecht "persönlich" ausüben (§ 43 Abs. 4 Satz 1 GenG). Stimmrecht und Teilnahmerecht hängen jedoch zusammen, da in der Regel bei persönlicher Anwesenheit in der Versammlung abgestimmt wird. So ist auch der Wortlaut des Gesetzes zu verstehen: als Apell, da das Abstimmungsverhalten des Mitglieds durch die vorherige Diskussion maßgeblich beeinflusst werden kann.
Rz. 904
Die Erteilung einer Stimmvollmacht durch das Mitglied an eine andere Person, sodass das Mitglied selbst nicht in der Versammlung anwesend sein muss, wird von der gesetzlichen Regelung zugelassen (§ 43 Abs. 5 Satz 1 GenG). Dieser Fall betrifft die rechtsgeschäftliche Erteilung einer Stimmvollmacht. Er ist zu unterscheiden vom Fall der gesetzlichen Vertretung und der Teilnahme an der Versammlung sowie Ausübung des Stimmrechts in diesem Rahmen.
Rz. 905
Die rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung einer anderen Person kann nach heutiger Gesetzeslage durch Satzungsregelung nicht mehr ausgeschlossen werden. Dies war bis zur Novellierung des Genossenschaftsgesetzes 2006 noch anders. Daher steht in mancher Satzung, die schon seit Längerem nicht mehr der Entwicklung angepasst worden ist, unter Umständen noch ein Ausschluss der Stimmvollmacht. Eine solche Satzungsregelung wäre jedoch unwirksam und vom Versammlungsleiter somit nicht zu beachten.
Rz. 906
Gesetzlich ist inzwischen festgelegt, dass ein Genossenschaftsmitglied bis zu zwei andere Mitglieder vertreten kann (§ 43 Abs. 5 Satz 3 GenG). Die Bevollmächtigung muss immer schriftlich erfolgen, d. h. vom Vollmachtgeber eigenhändig und original unterschrieben sein (§ 126 Abs. 1 BGB, d. h. E-Mails, SMS-Nachrichten, Kopien, Telefaxe oder die bloß mündliche Versicherung einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung genügen nicht).
Rz. 907
Zur Frage, wie streng die Anforderung der Schriftform zu erfüllen ist, werden in der Fachliteratur allerdings unterschiedliche Auffassungen vertreten, wobei hier auch noch die Gefahr eines Missverständnisses besteht, da in manchen Darstellungen der Begriff "elektronische Form" ohne nähere Erläuterung verwendet wird. Die "elektronische Form" ist nicht mit einer "einfachen E-Mail", die ja auch in "elektronischer" Form ergeht, zu verwechseln. Vielmehr verlangt die Vorschrift des § 126a Abs. 1 BGB für die "elektronische Form", dass der Aussteller der Erklärung seinen Namen hinzufügt und dass er das elektronische Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versieht. Nur für diesen Fall lässt § 126 Abs. 3 BGB zu, dass die schriftliche Form auch durch die elektronische Form ersetzt werden kann. Als weitere Voraussetzung wird in § 126 Abs. 3 BGB zudem verlangt, dass sich "aus dem Gesetz" nichts "anderes", also Gegenläufiges, ergibt, was beim Genossenschaftsgesetz zu dieser Thematik aber auch nicht der Fall ist.
Eine in der Fachliteratur vertretene Ansicht überlässt es dem Vorstand (bzw. wohl allgemein dem Versammlungsleiter, in vielen Fällen also auch dem Aufsichtsratsvorsitzenden), ob er die "elektronische Form" zulassen will, oder nicht. Ob diese Entscheidungsfreiheit so angenommen werden kann, dürfte fraglich sein. Denn die Vorschriften der §§ 126 Abs. 3 ("kann" ersetzt werden) und 126a BGB regeln das Ersetzenkönnen im Sinne der Formvorschriften, also die Herstellung einer Gleichwertigkeit zwischen den beiden Formen, nicht aber das "Können" im Sinne einer Kompetenz zur Auswahl im genossenschaftsrechtlichen Sinne. Nach der hier vertretenen Ansicht wird man den Versammlungsleiter im Rahmen seiner pflichtgemäßen Ermessensausübung daher für verpflichtet halten müssen, auch die (qualifizierte) elektronische Form im Sinne des § 126a Abs. 1 BGB beim Nachweis ordnungsgemäßer Bevollmächtigung zuzulassen.
Rz. 908
Unstreitig ist, dass es nicht genügt, dass der Bevollmächtigte eine schriftliche Vollmacht hat, sondern dass er diese auch nachweisen können muss. Kann er den Nachweis nicht führen, so kann er nicht wirksam abstimmen (Rechtsgedanke des § 174 Satz 1 BGB, wonach ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unwirksam ist, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist).
Rz. 909
Noch nicht geklärt ist die Frage, ob der Vollmachtgeber dem Versammlungsleiter etwa durch einen persönlichen Telefonanruf versichern kann, dass er an die betreffende Person eine Bevollmächtigung in entsprechender Weise erteilt hat. Die Vorschrift des § 174 Satz 2 BGB, wonach die Zurückweisung ausgeschlossen ist, wenn der Vollmachtgeber den anderen von der Bevollmächtigung "in Kenntnis gesetzt" hatte, könnte man für ausreichend halten, um eine ordnungsgemäße Bevollmächtigung akzeptieren zu müssen. Die Vorschrift des § 174 Satz 2 BGB legt nicht fest, in welcher Form diese In-Kenntnis-Setzung zu erfolgen hat.
Andererseits wird in der Fachliteratur darauf hingewiesen, dass für den Fall einer zur...