Leitsatz
Betriebliche Verbindlichkeiten, die beim Veräußerer aufgrund von Rückstellungsverboten (hier: für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften) in der Steuerbilanz nicht bilanziert worden sind, sind bei demjenigen Erwerber, der die Verbindlichkeit im Zug eines Betriebserwerbs gegen Schuldfreistellung übernommen hat, keinem Passivierungsverbot unterworfen, sondern als ungewisse Verbindlichkeit auszuweisen und von ihm an den nachfolgenden Bilanzstichtagen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG 1997 mit ihren Anschaffungskosten oder ihrem höheren Teilwert zu bewerten.
Sachverhalt
Eine GmbH hatte 1998 von X sämtliche Aktiva und Passiva erworben, darunter Verpflichtungen aus Mietverträgen. Da die Mietverträge für X keinen wirtschaftlichen Nutzen mehr hatten, hatte er hierfür Drohverlustrückstellungen gebildet. Die GmbH passivierte diese Rückstellungen und behielt sie bis zum Bilanzstichtag bei. Das Finanzamt forderte dagegen, die Rückstellungen in der folgenden ersten Schlussbilanz auflösen. Die anschließende Klage war erfolgreich.
Entscheidung
Ungewisse Verbindlichkeiten, die drohverlustbefangen sind, sind handelsrechtlich auszuweisen, dürfen aber steuerrechtlich nicht angesetzt werden. Bei einem Asset deal, bei dem der Erwerber alle Aktiva und Passiva eines Unternehmens aufkauft und vorhandene drohverlustbehaftete Verbindlichkeiten übernimmt, muss der Erwerber den Veräußerer jedoch von der gegenüber dem Gläubiger weiter bestehenden Zahlungspflicht freistellen. Dann stellt die Freistellung die Gegenleistung dar, sodass die Freistellungsverbindlichkeit konsequenterweise die Anschaffungskosten erhöht.
Die Drohverlustrückstellung ist in dem und durch den Anschaffungsvorgang qua Freistellung realisiert. Damit entfällt jeglicher "Einsatzbereich" für den in § 5 Abs. 4a EStG angeordneten Abzugsausschluss. Der (erste) dem Ankauf folgende Bilanzabschluss ändert daran nichts: Die Freistellungsverbindlichkeit mutiert nicht wieder zur Drohverlustschuld.
Hinweis
Es handelt sich um ein Grundsatzurteil mit Gestaltungspotenzial: Über einen Ankauf kann man dem Drohverlustabzugsverbot "entgehen". Gleiches gilt für alle anderen steuerlichen Abzugsausschlüsse und -beschränkungen, etwa bei Pensionszusagen. Sind die Vertragsbedingungen aber so gestaltet, dass der Erwerber in die drohverlustbehafteten Verträge als Nachfolger eintritt, bleibt alles beim Alten. Das wird allerdings nur der Fall sein, wenn der Vertragspartner des Drohverlustgeschäfts mit dem Austausch seines Vertragskontrahenten einverstanden ist.
Korrespondierend stellt sich die Situation beim Verkäufer dar: Bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns sind vom Erwerber übernommene Verbindlichkeiten, die aufgrund von Rückstellungsverboten in der Steuerbilanz nicht passiviert worden sind, nicht gewinnerhöhend dem Veräußerungspreis hinzuzurechnen.
Link zur Entscheidung
BFH, 16.12.2009, I R 102/08.