Dipl.-Finanzwirt Arthur Röck
Leitsatz
Die mit dem Betrieb eines gewerblichen Altenwohnheims eng verbundenen Umsätze sind u.a. dann umsatzsteuerfrei, wenn im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen Kranken und behinderten Menschen zugutegekommen sind, die in einem vom Gesetz näher bestimmten Maße der Hilfe bedürfen. Dass diesen Personen eine Pflegestufe zuerkannt wurde, ist nicht erforderlich.
Sachverhalt
Der "Seniorenstift" der steuerpflichtigen gemeinnützigen GmbH überließ den Bewohnern abgeschlossene unmöblierte Wohnungen mit Klingel, Namensschild, Telefonanschluss und Briefkasten; verbunden mit folgenden Grundleistungen: Notruf- und Pflegebereitschaft, Grundreinigung der Wohnung, Vorhalten von Gemeinschaftsräumen, Mittagessen, Betreuung und zeitlich befriste Pflege im Krankheits- und Pflegefall. Das FG versagte die Umsatzsteuerbefreiung u.a. deshalb, weil im Vorjahr nicht mindestens 40 % der Bewohner die Pflegestufe 1 oder mehr zuerkannt war.
Nach § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG der im Streitjahr 2001 geltenden Fassung waren steuerfrei u.a. "die mit dem Betrieb (…) der Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime (…) eng verbundenen Umsätze, wenn (…) im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % der Leistungen den in § 68 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) oder den in § 53 Nr. 2 der AO genannten Personen zugute gekommen sind".
Nach Auffassung des BFH reicht für die Anwendbarkeit des § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG jedoch eine (einfache) Pflegebedürftigkeit i.S.v. § 68 Abs. 1 BSHG bei dem entsprechenden Personenkreis aus. Sie kann auch vorliegen, wenn keine Pflegestufe i.S.v. § 15 SGB XI nachgewiesen worden ist.
Das vorinstanzliche FG muss noch klären, inwieweit mit den vorliegenden ärztlichen Bescheinigungen diese einfache Pflegebedürftigkeit ausreicht und inwieweit die Leistungen der Steuerpflichtigen für die Pflege und Versorgung unerlässlich waren.
Hilfsweise muss das FG prüfen, inwieweit sich die Steuerpflichtige auf die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 77/388/EWG stützen kann. Nach dem EuGH-Urteil v. 15.11.2012 (C-174/11 – Zimmermann), darf die Steuerbefreiung nicht von einer Bedingung abhängig gemacht werden, die nicht geeignet ist, die Gleichbehandlung sämtlicher unter das Privatrecht fallenden Betreiber von Altenwohnheimen zu gewährleisten.
Hinweis
Nach dem seit 1.1.2009 geänderten § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG sind "private" Altenwohnheim steuerfrei, wenn für die Einrichtung ein Vertrag nach § 132 SBGH V besteht. Ist dies nicht der Fall, muss noch die 40 %-Grenze des § 4 Nr. 16 Buchst. k UStG geprüft werden.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil v. 19.3.2013, XI R 45/10.